Panel: «Politiken filmischer Natur oder Filmkulturen der Natur»
Keynote: Evi Zemanek (Freiburg im Breisgau)
Zwischen Fragilität und Resilienz: Paradoxe Naturbilder im Dokumentarfilm
Abstract: Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass in Naturdokumentarfilmen die Interpretationen natürlicher Prozesse vielfach zwischen Extremen schwanken und widersprüchliche Bilder generieren von einerseits einer fragilen, vom Menschen zerstörbaren und bereits zerstörten Natur und andererseits einer resilienten, die menschliche Spezies gleichgültig überlebenden Natur. Ähnliche Paradoxien kennzeichnen den öffentlichen Diskurs über ‹Natur› im Anthropozän. Wie auch in umweltjournalistischen Texten, so meine These, wirkt sich diese semantische Ambiguität auch in politisch engagierten Filmen negativ auf ihr persuasives Wirkungspotenzial aus. Mein Beitrag versucht, die Inkohärenzen in Imaginationen von Natur zu entwirren, die Verfestigung verschiedener Topoi und die kulturellen Referenzhorizonte dieser audiovisuellen Konstruktionen von ‹Natur› nachzuvollziehen und die Popularisierungsstrategien vor dem Hintergrund aktueller Krisenkommunikation zu beurteilen.
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Panel: «Filmdiskurse der Natur oder Pragmatiken filmischer Natur»
Keynote: Josef Früchtl (Amsterdam)
Mimetische und filmische Bilder der Natur.
Eine Annäherung über die Geistesgeschichte und Th. W. Adorno
Abstract: Das Thema ‹Images of Nature› möchte ich in zwei Schritten angehen. Der erste Schritt orientiert sich an einer ideengeschichtlichen und modernitätstheoretischen Perspektive. Sie rekonstruiert zunächst den aus der Antike überkommenen und für die Geschichte der Ästhetik nachhaltig wirkenden Topos der Mimesis als ‹Nachahmung der Natur›, der in der Epoche des deutschen Idealismus und der Romantik, also mit dem philosophischen Paradigmenwechsel der Moderne, durch einen Kreativitäts- und Innovationstopos ersetzt wird. Als intellektuell und ästhetisch folgenreich erweist sich dabei die Unterscheidung zwischen empirischer, vergegenständlichter Natur (natura naturata) und produktiver Natur (natura naturans). Die Frage, welche Folgen sich speziell für den Film daraus ziehen lassen, lässt sich in einem zweiten Schritt, ebenso überraschend wie anregend, mit Hilfe Th. W. Adornos beantworten. Er hat nicht nur erfolgreich zur Rehabilitierung des Konzepts der Mimesis beigetragen, sondern bietet dem Film einen ‹radikalen›, über sich selbst hinaustreibenden ‹Naturalismus› oder eine Ästhetik der bilderlosen Bilder.
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Panel: «Natur(en) im Film oder Poetiken filmischer Natur»
Keynote: Benjamin Thomas (Strassburg)
Umwelt und Landschaft im Film: Eine ästhetische Kritik der Natur
Abstract: Der Begriff der «Natur» ist entscheidend für das Verständnis westlicher Weltkonzeption. Philippe Descola (Jenseits von Natur und Kultur) bezeichnet dieses westliche Paradigma als «Naturalismus». In einer solchen «anthropologischen Ontologie» – wie Descola es nennt – teilen jedes existierende Ding und jedes Wesen dieselbe Materie, aber sie unterscheiden sich strikt voneinander als separate Entitäten. Darüber hinaus bildet die Natur eine größere Entität, die strikt von den menschlichen Subjekten getrennt ist und somit als eine Sammlung von Objekten aufgefasst wird, die der menschlichen Vernunft und Wissenschaft gegeben sind. Diese Auffassung von «Natur» wird von Descola, gleichsam auf seine Weise von Clément Rosset (in L'Anti-nature), wie auch im Bereich der Philosophie eines Autors wie Timothy Morton (Ökologie ohne Natur. Eine neue Sicht der Umwelt) u.a. diskutiert.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Kino auf seine eigene Art und Weise an dieser Auseinandersetzung teilnimmt. Mit Filmen, die darauf bedacht sind, ästhetische Ausdrucksformen dessen zu erfinden, was Baptiste Morizot (Manières d’être vivants) als «angepasste Fürsorge» bezeichnen würde – literarische Erfindungen von Formen, die zu vermitteln versuchen, was es heißt, ein nicht-menschliches Wesen zu sein, auf eine Art und Weise, die menschliche Subjekte dezentriert. Aber auch mit Filmen, die sich für bestimmte filmische Qualitäten des Raums interessieren. In einem kürzlich erschienenen Buch habe ich versucht, Filme hervorzuheben, die den Raum als «Umwelt» gestalten. In solchen Filmen verschwimmen die Grenzen zwischen Subjekt und Raum: Subjekte sind in erster Linie Körper und werden dadurch qualifiziert, dass der Raum ihnen erlaubt, einige körperliche Möglichkeiten eher zu verwirklichen als andere; und der Raum wird im Gegenzug durch das qualifiziert, was der Körper über ihn verrät; darüber hinaus nehmen die filmischen Modalitäten eine aktive Rolle bei der Aufzeichnung und Offenlegung der Besonderheiten solcher Ausdrucksformen einer grundlegenden Verflechtung von Raum und Körper ein. Auf diese Weise können Filme auf sinnvolle Weise zeigen, dass das Subjekt und die Welt keineswegs hermetisch voneinander abgegrenzte Einheiten sind. Im Gegenteil – auf einer rein ästhetischen Ebene – lässt Film uns erleben, wie sie sich tatsächlich gegenseitig definieren. In solchen Fällen wird die Welt nicht mehr als «Natur» erfahren, sondern als das zusammenhängende Gewebe, als das «Geflecht [mesh]» wie Morton es ausdrückt, das sie ist.
Die Reflexion erweiternd, ließe sich fragen, ob die Kategorie «Landschaft», die nicht mit der «Umwelt» zu verwechseln ist, nicht doch auf den Blick aus der Distanz – und auf die Inbesitznahme der Natur durch das Sehen aus der Ferne zu reduzieren ist. Manche Filme scheinen in der Tat nahezulegen, dass Landschaft ein Moment der Enthüllung der überragenden Präsenz der Welt sein könnte, nicht als Objekt, sondern als das, woraus wir gemacht sind.
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