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Simone Winkler, M.A.
Referent: Prof. Dr. Daniel Wiegand
Das Dissertationsprojekt möchte einen Dialog zwischen aktuellen Diskursen des ökosensiblen Kinos und der Theorie und Geschichte des europäischen Stummfilmkinos der 1920er-Jahre eröffnen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind einschlägige utopische Filmtheorien dazu angelegt. Die ersten deutschen Filmtheoretiker:innen beschäftigen sich damit, wie ‹Mensch und Natur› – im historischen Wortlaut der Kosmos – mit dem Kino im Verhältnis stehen und wie durch das moderne Medium des Films und dessen Ästhetik über Wechselwirkungen und Relationen nachgedacht werden könne (vgl. Hauptmann 1919; Balázs 1924; Harms 1926). Landschaften bebilderten Erzählungen, Filmschaffende bewegten sich mit Handkameras unter freiem Himmel. Auch in der französischen Filmtheorie kursieren zu dieser Zeit Utopien zur ‹Bewusstwerdungsmaschine Kino›, der Kamera als Mikroskop und ‹Wahrnehmungsapparat› (Epstein 1924).
In Zeiten der ökologischen Sensibilisierung, blickt dieses Projekt auf das diskursive und ästhetische Verhältnis der Mensch-Umwelt-Relation und erkundet, was im (europäischen) Stummfilmkino bereits angelegt ist zu Environments, Milieus oder Um-Welt-Bildern und was das historische Material heute noch zu sagen hat. Dabei soll die Überschneidung von Film- und Umweltgeschichte in der visuellen Kultur des 20. Jahrhunderts analysiert werden, wie es in jüngeren Ansätzen der Environmental Humanities und Ökologie diskutiert wird (vgl. Adiran Ivakhiv, Jennifer Peterson, Jennifer Fay).
Auf den Spuren der kinematographischen Auseinandersetzung mit naturbelassener Umgebung in der frühen Filmgeschichte werden frühe und späte klassische Stummfilme mit ausdrucksstarker Bildsprache untersucht, die die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf Außenräume und ihre Objekte verschieben und ästhetisch dafür sensibilisieren. Schon in der Entstehung des narrativen Kinos erhalten Umgebungen gewisse Funktionen als Projektionsflächen oder wurden personifiziert. Es enstehen Vorder- und Hintergründe. Somit wurden gewisse anthropozentrische Verhältnisse von Mensch zu (Um-)Welt in der westlichen Filmpraxis- und Geschichte verhandelt und eingeschrieben. Aber es scheinen auch meist klar gedachte Abgrenzungen zwischen menschlichen Figuren und Umwelt in fluide Bewegung zu geraten. Manchmal werden menschliche Figuren dezentriert oder es verschwimmen Hierarchien oder Dualismen in der Ästhetik.
Der Fokus liegt insbesondere auf Fallstudien, die in Interaktion mit ozeanischen Umgebungen, in Zonen des Übergangs zwischen Zivilisation und ‚Naturraum’ – an Küsten, um Leuchttürme oder auf Inseln – entanden: im Mittelmeerraum und in der Bretagne (Jean Epstein, Jean Grémillon), in Skandinavien (Gunnar Sommerfeldt, Victor Sjöström, Mauritz Stiller), an der Ost- und Nordsee im Weimarer Kino (Friedrich Wilhelm Murnau). Spannend erscheint, wenn der Stummfilmzeit entspringende Effekte im heute aktuellen Experimentalkino und Slow Cinema wiederhallen, wie zum Beispiel in filmischen Arbeiten am und mit dem Meer von Helena Wittmann.