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Simone Winkler, M.A.
ReferentInnen: Prof. Dr. Daniel Wiegand, Jun.-Prof. Dr. Kristina Köhler
Das Dissertationsprojekt möchte einen Dialog zwischen aktuellen Diskursen des ökosensiblen Kinos und der Theorie und Geschichte des europäischen Stummfilmkinos der 1920er-Jahre eröffnen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind einschlägige (ideosynkratische) Filmtheorien dazu angelegt. Die ersten deutschen Filmtheoretiker:innen beschäftigen sich damit, wie ‹Mensch und Natur› – im historischen Wortlaut auch der Kosmos – mit dem Kino im Verhältnis stehen und wie durch das moderne Medium des Films und dessen Ästhetik über Wechselwirkungen und Relationen nachgedacht werden könne (vgl. Tannenbaum 1912/13, Häfker 1913/14, Hauptmann 1919; Balázs 1924; Harms 1926). Landschaften bebilderten Erzählungen, Filmschaffende bewegten sich mit Handkameras unter freiem Himmel. Auch in der französischen Filmtheorie kursieren zu dieser Zeit Utopien zur ‹Bewusstwerdungsmaschine Kino›, der Kamera als Mikroskop und ‹Wahrnehmungsapparat› (Epstein 1924).
In Zeiten der ökologischen Sensibilisierung, blickt dieses Projekt auf das diskursive und ästhetische Verhältnis der Um(gebungs)welt-Relationen und erkundet, was im (europäischen) Stummfilmkino bereits angelegt ist zu Environments, Milieus oder Um-Welt-Bildern und was das historische Material heute noch zu sagen hat. Dabei soll die Überschneidung von Film- und Umweltgeschichte in der visuellen Kultur des 20. Jahrhunderts analysiert werden (vgl. Adiran Ivakhiv, Jennifer Peterson, Jennifer Fay, Benjamin Thomas).
Auf den Spuren der kinematographischen Auseinandersetzung mit naturbelassenen Um(gebungs)welten in der frühen Filmgeschichte werden frühe und späte klassische Stummfilme mit ausdrucksstarker Bildsprache untersucht, die die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf Außenräume und ihre Objekte verschieben und ästhetisch dafür sensibilisieren. Schon in der Entstehung des narrativen Kinos erhalten Umgebungen gewisse Funktionen als Projektionsflächen oder wurden personifiziert, piktoralisiert oder exotisiert. Es entstehen Vorder- und Hintergründe in Landschafts-Konfigurationen. Somit wurden gewisse anthropozentrische Verhältnisse von menschlichen Subjekten zur (Um-)Welt in der westlichen Filmpraxis- und Geschichte verhandelt und eingeschrieben. Aber es scheinen auch meist klar gedachte Abgrenzungen zwischen menschlichen Figuren und Um(gebungs)welten durchlässig zu werden. Manchmal werden menschliche Figuren dezentriert oder es verschwimmen Hierarchien, binär angelegte Natur-Kultur oder Subjekt-Objekt-Relationen in der Ästhetik.
Der Fokus liegt insbesondere auf ‚ambimodernen’ Fallstudien, die – entgegen der üblichen Topoi der filmischen Moderne – in Randzonen des Übergangs zwischen Zivilisation und ‚Naturraum’ – an Küsten, um Leuchttürme oder auf Inseln – entstanden: im Mittelmeerraum und in der Bretagne, in Skandinavien, an der Ost- und Nordsee im Weimarer Kino. Spannend erscheint, wenn der Stummfilmzeit entspringende Effekte im heute aktuellen Experimentalkino und Slow Cinema wiederhallen.