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Seminar für Filmwissenschaft

Bilder einer Stadt

Studentische Beiträge zu einer Zürcher Film- und Stadtgeschichte (2021)

Die Veranstaltung mit dem Titel «Bilder einer Stadt: eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte» fand im Herbstsemester 2019 am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich statt. Sie wurde als interdisziplinäres Master-Seminar von Severin Rüegg (Historiker), Seraina Winzeler (Filmwissenschaftlerin und Leiterin des Forschungs- und Archivierungszentrums Zürich der Cinémathèque suisse) und Margrit Tröhler (Professorin für Filmwissenschaft an der UZH) angeboten. Auf dieser Seite publizieren wir nun eine Auswahl von Seminararbeiten, die während des Frühjahrssemesters 2020 entstanden sind und sich für ihre Untersuchungen auf Archivbestände stützen. Auch wenn sich die Bedingungen für deren Konsultation aufgrund der Covid-19-Pandemie während des ersten Lockdowns ab Mitte März 2020 schwierig gestalteten, haben die Studierenden folgende Zürcher Archive (und deren diverse Bestände) einsehen und z.T. kopieren oder fotografieren können. 
Für ihre wertvollen Hilfestellungen danken die Autor*innen sowie die beiden Herausgeberinnen an dieser Stelle herzlich den Mitarbeiter*innen folgender Institutionen: 

Autor*innen: 

Peter Klarer, Simone Locher, Judith Rehmann, Severin Senn, Nicole Tobler.

Online-Herausgeberschaft:

Margrit Tröhler und Seraina Winzeler (redaktionelle Betreuung)
Lorenz Vollenweider (formale Bearbeitung, Layout etc.)
 

Zum Thema: Bilder einer Stadt

Zürich ist mit dem Film eng verbunden. Hier gibt es die grösste Kinodichte der Schweiz, und fast ein Fünftel der Kinoeintritte im Land werden in dieser Stadt verzeichnet. Filme werden hier aber nicht nur gesehen, sondern auch gemacht. Ein Grossteil der Schweizer Filmproduktion findet im Raum Zürich statt. Welche Geschichte(n) erzählen diese Filme von Zürich? Auf welche Weise sind sie mit spezifischen Zürcher Institutionen, Traditionen und Themen verbunden? Wie wird in ihren Bildern die Stadt sichtbar und welche urbanen Auseinandersetzungen werden in ihnen und mit ihnen geführt?

Das Seminar im Herbstsemester 2019 widmete sich diesen Filmbildern der Stadt Zürich in verschiedenen Stationen seit den Anfängen des Kinos. Im Zentrum stand dabei nicht die bekanntere und bereits besser aufgearbeitete Gattung des Spielfilms, sondern das heterogene, vielfältige und oft nur fragmentarisch überlieferte Material des nicht-fiktionalen Gebrauchsfilms. Anhand dieser Filme und ihrer Produktions- und Rezeptionskontexte untersuchten wir das Verhältnis von Stadt und Film. Die ausgewählten Stationen verfolgten eine thematische, filmhistorische und/oder historiografische Perspektive. Es galt also einerseits, nach den Formen und Genres der Zürcher Stadtbilder zu fragen und sich mit den historiografischen Ansätzen zum «Gebrauchsfilm» und «Auftragsfilm» sowie zur «Lokalgeschichte» auseinanderzusetzen und die Produktionen vor dem spezifischen Hintergrund des «Alten Schweizer Films» respektive des «Neuen Schweizer Film ab 1964» zu verstehen. Andererseits standen verschiedene Themen und Funktionen, die auch über den engeren lokalen Rahmen hinausweisen, im Fokus des Interesses: «Stadtfilme und Stadtgeschichte», «Aktualitäten und Wochenschauen», «Wohnen und Bauen», «Industriefilme» etc. Der Schwerpunkt lag auf den Zürcher Stadtbildern und ihrem sozialen, politischen und ökonomischen Kontext, d.h. also auch ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Ein Akzent bildeten die Schmalfilm- und Videoproduktionen ab den 1970 Jahren, welche soziale Bewegungen begleiteten, sich feministischen Anliegen verschrieben oder sich dem Thema der Migration widmeten. 

Insgesamt hatte das Seminar zum Ziel, die historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Gebrauchsfilmen sowie mit dem Beitrag von Kino, Film und Video zur Stadt- und Lokalgeschichte zu vertiefen und methodische Kompetenzen im Bereich der Archivrecherche zu fördern.

Das übergeordnete Projekt der Cinémathèque suisse: Zürcher Gebrauchsfilme des 20. Jahrhunderts

Die Idee und die Realisierung des Seminars zu den Filmbildern der Stadt Zürich wie auch diese kleine Publikation ordnen sich in ein grösseres Vorhaben ein. Im Rahmen des Projekts «Zürcher Gebrauchsfilme des 20. Jahrhunderts. Ein Digitalisierungs- und Vermittlungsprojekt der Cinémathèque suisse» wird die Cinémathèque suisse Gebrauchsfilme aus den im Forschungs- und Archivierungszentrum in Penthaz gelagerten Sammlungen, die einen thematischen Bezug zum Kanton und zur Stadt Zürich aufweisen, digitalisieren und zugänglich machen. Das Seminar stellte eine Art Auftakt zu dem Projekt dar und diente der wissenschaftlichen Vorbereitung dieses vom Lotteriefonds des Kantons Zürich und von Zürich Kultur finanziell unterstützten Vorhabens. 

Die nun publizierten Arbeiten weisen dabei implizit auf Strukturen und Mechanismen der Überlieferung, Archivierung und Tradierung hin, die für das übergeordnete Projekt wesentlich sind: Denn erforscht werden kann nur, was archiviert und erschlossen ist. Besonders im Fall von in einem engen zeitlichen Rahmen zu realisierenden studentischen Arbeiten ist es notwendig, dass Nutzungskopien auch ausserhalb der Archive vorliegen. Für die Gattung des Gebrauchsfilms ist dies keineswegs selbstverständlich. Obwohl Gebrauchsfilme als funktionale und ‚nützliche’ Filme im Dienst der Wirtschaft, Werbung oder Politik historisch oft zu den am meisten gesehenen Filmen gehörten, unterliegen sie als ephemere Filme einer anderen Tradierung als Spiel- und längere Dokumentarfilme. Sie werden kaum im Kino wiederaufgeführt, wurden lange nicht in Darstellungen der Schweizer Filmgeschichte aufgenommen, im Fernsehen ausgestrahlt oder auf VHS und später auf DVD veröffentlicht. Erhalten geblieben sind sie, wenn überhaupt, je nach thematischem Umfeld oder funktionaler Zuordnung (Industrie-, Tourismus-, Lehrfilme etc.) verstreut in unterschiedlichen Archiven. Als Gegenstand, dessen Bedeutung sich nur im Kontext von Produktion und Rezeption erschliesst, sind sie ohne die Zugänglichkeit zu historischen Begleitmaterialien zudem oft schwer zu identifizieren und bleiben rätselhaft und fragmentarisch.  

Die Archivierung, Erschliessung und Digitalisierung von Filmen und dazugehörenden nicht-filmischen Quellen ist Voraussetzung für die vorliegenden historischen Untersuchungen. Die Arbeiten stützen sich auf das gegenwärtig verfügbare Material und partizipieren nun wiederum selbst daran, was erinnert und tradiert wird. Dieses Feld zu vergrössern, daran arbeitet auch das Projekt der Cinémathèque suisse, in dessen Rahmen Archivar*innen und Restaurator*innen Zürcher Gebrauchsfilme konservieren, restaurieren und digitalisieren werden. Erhaltung und Zugang sind die primären Ziele des Projektes, das durch eine vertiefte thematische Auseinandersetzung gerahmt wird. Die nun vorliegenden Arbeiten sind ein erstes Resultat, das sich auch dem Interesse und der Offenheit aller Studierenden verdankt, sich auf das zu Beginn des Seminars erst vage umrissene Forschungsfeld einzulassen und in einem bisher kaum untersuchten Bereich erste Tiefenbohrungen vorzunehmen. 

Zu den Arbeiten

Bereits während der letzten Wochen des Herbstsemester 2019 haben die Studierenden in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen Archivrecherchen unternommen. An einem seminarinternen Workshop haben die Gruppen sodann ihre vorläufigen Resultate und weiterführende Forschungsfragen präsentiert. Aus diesen Vorstudien sind im folgenden Semester einige Seminararbeiten hervorgegangen (andere Projekte konnten leider aufgrund der Pandemie, der Schliessung der Archive und/oder der persönlichen Situation der Studierenden nicht realisiert werden). 
Die hier veröffentlichten Arbeiten decken weder das im Seminar diskutiere Spektrum an Fragestellungen ab, noch präsentieren sie ein nur annähernd vollständiges Bild hinsichtlich der heterogenen Gattung des Gebrauchsfilms und dessen unterschiedlichen Funktionen in der Stadt Zürich. Für die Online-Publikation ausgewählt wurden Texte, die überwiegend auf Archivrecherchen basieren, zum Teil bislang unerforschtes Material einbeziehen und die besprochenen Filme im Kontext der historischen Dokumente und der daraus gewonnen Erkenntnisse situieren.

Zusätzlich zu den Beständen in den eingangs erwähnten Archiven konnten neben dem Einbezug von Sekundärliteratur (die per Post von der Zentralbibliothek Zürich, der Bibliothek wie auch der Videothek des Seminars für Filmwissenschaft u.a. nach Hause verschickt wurde) verschiedene Online-Archive von Tageszeitungen (NZZ, Tages Anzeiger, Weltwoche etc.) und Open-Access-Plattformen für historische Zeitschriften (z.B. E-Periodica) und Lexika (z.B. HLS), administrative und rechtliche Dokumente der Schweizerischen Eidgenossenschaft sowie für Fotografien und Videos (Datenbank Bild + Ton des Schweizerischen Sozialarchivs) konsultiert werden.

Die Themenwahl war den Studierenden freigestellt und beruht auf ihren Interessen an den Filmen und deren historischem und diskursivem Kontext. Dieses Interesse spiegelt sich auch in den individuellen Fragestellungen und Herangehensweisen an das jeweilige Thema. Bemerkenswert ist, dass sich vier der fünf hier präsentierten Arbeiten feministischen Anliegen in unterschiedlichen Phasen der Frauenbewegung in der Schweiz und insbesondere im Raum Zürich von den 1950er bis in die 1990er Jahre widmen, für deren Aktionen und Aktivitäten Filme zum Einsatz kamen und etwas bewegten. Dieser Schwerpunkt verweist auch auf ein im Seminar erarbeitetes erweitertes Verständnis des Begriffs «Gebrauchsfilm». Traditionellerweise handelt es sich dabei um einen Auftragsfilm vonseiten eines Unternehmens oder eines staatlichen Dienstes, der von bekannten Produktionsfirmen und Filmschaffenden umgesetzt wird. Ein solch klassischer Fall ist Hans Trommers Tourismusfilm ZÜRCHER IMPRESSIONEN (CH 1960/61), den der Verkehrsverein Zürich bei der Condor-Film AG in Auftrag gab (Severin Senn). Als Film einer pragmatischen Gattung erschliesst sich die Bedeutung von ZÜRCHER IMPRESSIONEN weniger über ästhetische, formale und inhaltliche Merkmale als über die Modalitäten seiner Entstehung und Verwendung. So sehr sich der Neue Schweizer Film ab Mitte der 1960er Jahre vom Gebrauchsfilm abgrenzte und diesen, wie etwa Yvonne Zimmermann (2011) zeigte, marginalisierte und abwertete, lassen sich im politisierten Schweizer Filmschaffen der folgenden Jahre dennoch gewisse Kontinuitäten erkennen, die über die Praxis der Filmschaffenden zustande kamen (vgl. auch Schärer 2014). Die Grenzziehungen zwischen «alt» und «neu» verlaufen nicht ganz so eindeutig: Sichtbar wird das etwa in den Verleihpraktiken der 1972 gegründeten Filmcooperative Zürich, die den Katalog der Schweizer Arbeiterbildungszentrale SABZ übernahm und dies in einem (undatierten) Vorwort mit dem Hinweis auf gemeinsame sozialkritische und politische Anliegen begründete. Explizit wird hier dazu aufgerufen, die Distribution und Rezeption der Filme zu begleiten und mit Diskussionen zu rahmen. Damit wird Film nicht primär als Unterhaltung oder Kunst verstanden, sondern als Möglichkeit eines aktiven Partizipierens an gesellschaftlichen, sozialen und politischen Prozessen. Filme werden produziert und verliehen, um mit ihnen gezielt in Debatten einzugreifen. Die Kulmination dieser Praxis stellt vielleicht die kurzlebige, aber einflussreiche Form des Interventionsfilms dar, wie sie sich im und mit dem Film LIEBER HERR DOKTOR (Filmgruppe Schwangerschaftsabbruch, CH 1977) zeigt, der anlässlich der Abstimmung über die Volksinitiative über die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch realisiert wurde (Peter Klarer). Auch der Einsatz des audiovisuellen Mediums in Ausstellungen wie der SAFFA 58 (Nicole Tobler), in politischen Bewegungen wie der Frauenbefreiungsbewegung FBB (Simone Locher) oder in Filmklubs wie dem Frauenkino Xenia (Judith Rehmann) verweist darauf, wie Film zu Bildungszwecken, zur Wissensproduktion, als Mittel zur sozialen Einflussnahme, aber auch zur Selbstaffirmation der Bewegungen, Gruppierungen oder einzelner Initiativen eingesetzt wurde. Der Begriff des Gebrauchsfilms oder des «useful cinema» bezeichnet hier weniger die Produktionsstruktur des Auftragsfilms als eine bestimmte Haltung und Herangehensweise an das Medium, die auf dessen Nützlichkeit und diverse Verwendungsmöglichkeiten durch institutionelle Akteur*innen fokussiert und die sich ebenso in Praktiken der Distribution, Programmierung und Rezeption manifestiert (vgl. Acland/Wasson 2011). Der Gebrauchsfilm erscheint so nicht nur für die Schweizer Filmgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennzeichnend, sondern ebenso für die spätere Periode.

Die hier veröffentlichten Texte wurden von den Herausgeberinnen inhaltlich, sprachlich und in Bezug auf die akademischen Anforderungen des Zitierens etc. betreut und von den Studierenden überarbeitet (was die Qualität der Ausführung betrifft, so sind die Leistungen mit Noten zwischen 5 und 6 bewertet worden). Für die Veröffentlichung haben die Herausgeberinnen kleine stilistische und formale Bereinigungen vorgenommen und inhaltliche Ergänzungen vorgeschlagen. Die Arbeiten wurden jedoch weder publizistisch aufbereitet noch zu umfassenden Untersuchungen ausgebaut: Es handelt sich um Beiträge von Studierenden, die von ihrem Blick, ihrem Interesse an und ihrem Engagement für die Sache, von ihrem Kenntnisstand wie von ihrer Art und Weise, all dies in Sprache umzusetzen, zeugen. Entstanden sind alle Texte unter den schwierigen Bedingungen eines eingeschränkten Zugriffs auf die Materialbestände in den Archiven und Bibliotheken. Doch diese Bemerkung schmälert keineswegs das Verdienst der Autor*innen, bislang kaum erforschte Dokumente zum historischen Umfeld der ausgewählten Filme bearbeitet und neue Perspektiven auf Aspekte der Produktion, Aufführung, Zirkulation und Rezeption sowie auf die Debatten, die sie begleiteten, geworfen zu haben. Mit ihren Arbeiten eröffnen sie uns einen kleinen Einblick in eine andere Zürcher Film- und Stadtgeschichte.

Die Reihung der Arbeiten folgt mehr oder weniger der Chronologie der behandelten Themen und Filme.


Genannte Literatur
- Charles A. Acland und Haidee Wasson, Useful Cinema. Durham [etc.]: Duke University               Press, 2011.
- Thomas Schärer, Zwischen Gotthelf und Godard. Erinnerte Schweizer Filmgeschichte.                Zürich: Limmat, 2014 (inkl. DVD mit einer Auswahl von Interviews mit Filmschaffenden; vgl.        auch die Webseite zum Projekt Cinémémoire.ch). 
- Yvonne Zimmermann, «Dokumentarischer Film: Auftragsfilm und Gebrauchsfilm.» In: Dies.         (Hg.), Schaufenster Schweiz. Dokumentarische Gebrauchsfilme 1896–1964. Zürich:                   Limmat, 2011, S. 34-83.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung der Herausgeberinnen (online)
Margrit Tröhler und Seraina Winzeler
 

Severin Senn
Zürcher Impressionen
Download (PDF, 9 MB)
 

Nicole Tobler
Die Saffa 1958. Die Darstellung der Frauen in den Filmen an der Saffa
Download (PDF, 69 MB)
 

Peter Andrés Klarer
Arbeiten im Kollektiv. Der politische Interventionsfilm am Beispiel von LIEBER HERR DOKTOR, ein Schweizer Film zum Thema Schwangerschaftsabbruch
Download (PDF, 3 MB)
 

Simone Locher
Film, Aktivismus und Feminismus. Die Rolle des Films innerhalb der Frauenbefreiungsbewegung (FBB)
Download (PDF, 32 MB)
 

Judith Rehmann
Feminismus und Pornographie. Die feministische Filmszene und ihr Verhältnis zur Pornographiedebatte in der Deutschschweiz: Eine exemplarische Aufarbeitung anhand des Frauenkinos Xenia
Download (PDF, 2 MB)

Weiterführende Informationen

Bilder einer Stadt

Bilder einer Stadt