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Seminar für Filmwissenschaft

Ästhetik und Gestaltung

Vorlesung 12: Grossaufnahme / Blick

In den Avantgarde- und Experimentalfilmen stellt sich oft filmische Gestaltung selbst dar. Im historischen Kontext heisst dies immer wieder von neuem, den Film aus der erzählerischen und dramaturgischen Funktion lösen und ihn als „Cinéma pur“, als Film, der nur Film sein will – „Film als Film“ zu verstehen.

Wie sehr die filmischen Ausdrucksformen und Gestaltungsmittel in der dramaturgisch erzählerischen Tradition stehen, zeigt sich zur Zeit auch in der Schweiz: Über Drehbuch-Förderung, Drehbuch-Seminarien, Filmanalysen, Drehbuch-Schreiben als Handwerk soll ein international abgesicherter und kino-industriell geformter Standard erreicht werden, so dass der kommerzielle Anschluss an die Erfordernisse zunächst des Euromarktes als Konkurrenz zum amerikanischen Film gewährleistet ist.

Für das Kino als Ort von verwend- und einsetzbaren, auswertbaren Filmen ist dieser Prozess unerlässlich. Für die Zuwendung an eine sinnliche Wahrnehmung von bildlichen und akustischen Qualitäten, Intensitäten und Sensibilitäten ist die Erfahrung von „Film als Film“ ebenso unerlässlich.

Deshalb haben wir das letzte Mal bewusst die Begegnung mit Filmen von Autoren eingeschoben, die wissen wollten, was Film unabhängig von den Erzählerfordernissen ist. Die Thematisierung der Filmgestaltung als solche, die Darstellung der Machart als solche, die visuelle Formulierung eines ästhetischen Verständnisses von Film bilden die archaischen Grundformen, mit denen man auch, im traditionellen "Kino-Industrie-immanenten" Erzählkino umzugehen hat.

Nach dem „Entr’acte“ von Avantgarde- und Experimentalfilmen kehre ich zum Thema der Grossaufnahme zurück, um mich mit diesem Ansatz der Frage des filmischen Blickes, dem Blick im Film und dem Blicksystem zwischen Leinwandfigur und Zuschauer zuzuwenden. Die Frage nach dem Umgang mit den verschiedenen Vermittlungsformen des Blicks soll uns anschliessend zu Erzählstrukturen hinführen.

Wenn ich das letzte Mal „Film als Film“ oder filmische Gestaltung als Selbstdarstellung einschob, heisst dies nicht, dass das Erzählkino nicht um die Bedeutung filmischer Ausdrucksformen weiss. Und oft sind die spannendsten Erzähler die grössten Alchimisten filmischer, visueller und akustischer Mixturen aus Bewegung, Licht, Schattierungen, Cadragen.

Nicht umsonst erkannten die Kritiker der „Cahiers du cinéma“, die in der Folge in der filmischen Realisierung ihrer Ideen die „Nouvelle Vague“ begründeten, in Regisseuren des Hollywoodsystems jene Film-Autoren, welche trotz Arbeitsteilung und Industrialisierung der Produktion ihre eigene unverkennbare Handschrift – d. h. Filmsprache, filmische Ausdrucksweise – entwickelten.

Ein Alchemist des geheimnisvollen Umgangs mit filmischer Machart war Orson Welles, der von Herzen gern Geschichten erzählte. Ebenso sehr ist Alfred Hitchcock, wenn er auch noch so sehr mit seinen Kino-Filmen industriekonform und publikumwirksam erscheint, ein Meister, um nicht zu sagen, ein vergnüglicher Spieler mit den visuellen und akustischen Gestaltungsteilen, aus denen sich in einem handwerklichen Brauprozess ein Ganzes bildet. Bezeichnend für ihn ist jedoch, dass er die mögliche Wahrnehmung durch den Zuschauer handhabt, was ihn von Autoren jener Experimentalfilme abhebt, die nur Film als Film darstellen wollen. Spannung und Horror, geheimnisvolle Stimmung und die durch Illusion vorgeführten Täuschungsmanöver (z. B. die falschen Kameraschwenks und Fahrten, welche über Umwege zum Ziel gelangen) haben sich nicht im Film selbst zu erschöpfen, sondern sich in der Rezeption des Zuschauers aufzuheben.

Kehren wir als Einstieg in die Thematik des Blicks im Film und des Blicks des Zuschauers auf den Film zum filmischen Gestaltungsmittel „Grossaufnahme“ zurück. In John Hustons THE MISFITS fliessen die Grossaufnahmen von Marilyn Monroe und Clark Gable wie ein mildes Gespräch zwischen Bildern dahin. Als Gegenbeispiel liesse sich die Ermordungsszene aus Hitchcocks PSYCHO anführen. Aus einer Montage von Gross und Detail entsteht eine imaginative Totale. Nah- und Total-Aufnahme leiten die Sequenz ein und bauen eine entsprechende Stimmung des Ortes und der Handlung auf. Thematisiert wird bildhaft der Blick, der als Blick des Voyeurs über die Details die Ganzheit sucht. Auge und Blickloch eröffnen den inneren Rahmen der Sequenz. Vom Auge der Toten – des Opfers – fährt am Ende der Sequenz die Kamera auch wieder weg, hinaus in die Fortsetzung der Geschichte. Eingebaut in die Nah- und Total-Aufnahmen wird über die Montagestruktur der Grossaufnahmen der Mord ein intimer Akt. Die Montage der Details schafft das Gesamtbild der Tat. In gleicher Weise setzt sich der Körper der nackten Frau aus Details zusammen. Ohne dass man sie je in ihrer Ganzheit nackt sieht, entsteht der Eindruck ihrer Nacktheit. Die Gross- und Detailaufnahmenschaffen das Ganze. Wie die unterbrochene Linie eines Zeichnungsstriches durch das Auge ergänzt wird, bindet die visuelle Imagination, der Blick des Voyeurs, die Teile zum Ganzen. Die Grossaufnahme erlaubt Hitchcock auch – was er auch in anderen Filmen vornimmt – einzelne Teile zu dämonisieren, mit Angst zu besetzen: Die Brause, den Wasserstrahl, der so sehr erfrischen kann, jedoch die Umgebung unhörbar macht, so dass der Täter im Schutze des Geräusches ins Badezimmer eindringen kann, das Abflussrohr der Badewanne, die Ringe, an denen der mattdurchsichtige Vorhang hängt. Auch der Ton schafft im Wechsel von Musik zu Geräuschen und wieder zur Musik den emotional bedrohlichen musikalischen Background und die realistische Zuweisung der Töne zur Montage der Details: Daraus erwacht die akustische Struktur der Tat. Die Totalen und Nahaufnahmen sind in Kino-Klängen aufgehoben. Die Montage der Gross- und Detailbilder findet ihre aggressive Ergänzung in der Realistik der Geräusche.

1. PSYCHO

Durch die Gross- und Detailaufnahmen zwingt uns Hitchcock in die Intimität einer Tat hinein. Die Montage schafft eine Erzählstruktur, welche die Imagination des Zuschauers zum aktiven voyeuristischen Mittäter macht, indem der Zuschauer die filmische Montage durch seine eigene Montage der Teile kreativ ergänzt. Die Affinität zwischen dem Voyeurismus des Protagonisten und dem Voyeurismus des Zuschauers als einem tragenden Element des filmischen Blicks, der Autor, Schauspieler und Zuschauer quasi in eine filmästhetische Verschwörung einverwebt, hat Hitchcock immer wieder angewendet. Das beste Beispiel ist REAR WINDOW und – in einen grösseren, diabolischen Rahmen gestellt – VERTIGO.

Ich möchte im folgenden im Sinne eines Experiments den Zusammenhang zwischen Grossaufnahme und Zwanghaftigkeit des Zuschauerblickes aufnehmen, indem wir uns innerhalb einer Nahaufnahme über unsere Sehperspektive die Grossaufnahme selbst schaffen.

Im Film RAIN von Lewis Milestone (1932), nach einer Novelle von W. Somerset Maugham – durch den ganzen Film geht ein tropischer Regen nieder, deshalb der Titel des Films – steht Joan Crawford, die wegen ihrer expressiven, sinnlich wirkenden Stärke des Gesichtes bekannt wurde, einem Pastor gegenüber, der im Sinne einer Teufelsaustreibung die Sünderin wieder auf den gottgefälligen respektiv gesellschaftskonformen Weg bringen will.

Zur Präzisierung: Sie steht ihm natürlich nicht gegenüber, sondern im Sinne der Hierarchie der Machtverhältnisse steht sie unter ihm, zu ihm hinaufschauend. Filmgestalterisch bedeutet dies aber auch, dass trotz Nahaufnahme, welche beide Figuren umfasst, das ausdrucksstarke Gesicht Crawfords als eine Staraufnahme für den Zuschauer voll ersichtlich ist. Der Sinn der Nahaufnahme besteht darin, dass die dramatische Situation der Begegnung mit dem Blick des Zuschauers auf das Gesicht der Crawford gekoppelt wird, so dass zwei Erzählstrukturen miteinander bildimmanent verbunden, in Beziehung zueinander montiert werden können.

Zugleich spielt aber ein weiterer Vorgang in die klare Bildstruktur rein. In der Mitte des Bildes ragt ein Treppenpfosten in die Bildhierarchie hinein. An diesem Pfosten entwickelt die Crawford einen Spiegelgestus, eine gestische Erzählweise, so dass der Zuschauer sich in der Nahaufnahme neben dem Blick auf das Gesicht Crawford seine eigene Grossaufnahme schafft, obwohl sie in gebührlicher Entfernung ist. Wenn schon eine Fokussierung auf eine bestimmte Sichtweise erfolgen sollte, wäre es das Star-Gesicht der Crawford.

Sternberg setzte in THE SCARLET EMPRESS die flackernde Kerze bewusst als magisches Detail auf den Hintergrund der Grossaufnahme von Marlene Dietrich, so dass wir uns ob soviel visueller Aufdringlichkeit der emotionellen Aussage nicht entziehen konnten. In RAIN haben wir die Freiheit über die Sehperspektive unseren Blick zu verändern und schweifen zu lassen. Es ist der Spielgestus, der uns – unter Umständen – zur Sehselektion innerhalb eines Bildes bestimmt. Wir schaffen uns selbst die Grossaufnahme. Wir können aber auch von ihr wieder lassen, denn der Bildausschnitt selbst erlaubt uns, das Ganze zu sehen und je nach Bedarf unseren Blick auch anders zu konzentrieren: auf das Gesicht, auf den ewigen Regen. Noch einmal: Nicht der Bildausschnitt zwingt uns – wie z. B. bei Josef von Sternberg – die Emotion wahrzunehmen – sondern der Spielgestus als kleinster Teil innerhalb des Bildes, das einem "Plan américain" entspricht. Dabei setzt die Sensibilisierung auf den Spielgestus schon in der Einstellung vorher ein: Die Crawford benutzt sehr markant das Spiel ihrer Hand als ein körperliches Aussagemittel.

2. RAIN

Eng mit der Grossaufnahme und auch der Nahaufnahme ist der Blick verbunden. Blicke schaffen Hinweise und Beziehungen. Blicke lösen im Erzählduktus eines Filmes oft Schwenke aus und aus dem Schwenk schält sich der subjektive Blick des Rollenträgers, der kurz vorher noch vom Zuschauer als ein Gegenüber erlebt worden war. Der aus dem Schwenk sich ergebende subjektive Blick lässt uns in Konfrontation mit der anderen Figur geraten. Blicke verhängen sich im Beziehungssystem der Bilder. Konstant bleibt nur der Blick des Zuschauers, der sich im Bezugssystem der Leinwand-Blicke zurechtfinden muss.

Die Ihnen wohlbekannte Barclay-Zigaretten-Reklame baut auf einem Ballett von Blicken auf. Zwei Paare kreuzen sich, Blicke treffen sich: Sehen und gesehen werden und sehen, dass man gesehen wird, wird als eine Kurzanalyse von möglichen Geschichten, gewesenen oder kommenden Geschichten flashartig hingeworfen. Die Beunruhigung löst sich im Griff zur Barclay-Zigarette auf. Beziehungsblicke und Duell der Blicke finden im Happy-End der Zigarette ihren animierenden Sinn.

Statt der Ihnen wohl zur Genüge bekannten Barclay-Party zeige ich Ihnen eine Campari-Party, wobei nicht so ganz klar ist, ob die Gäste dem Schloss aus Cocteaus LA BELLE ET LA BÊTE entlaufen sind oder ob es um eine antikisierende Anspielung handelt. Auf jeden Fall brechen in die blicklosen Marmor- respektive Gips-Gäste ein Mann und eine Frau zeitgenössischer Prägung ein. Gehen wir der Blickregie nach. Wohin schaut der Mann – wohin schaut die Frau?

3. Campari-Werbung von Federico Fellini

Es scheint nicht so ganz einfach mit der Blickregie zu sein. Die Blicke des Mannes gelten der Frau. Die Blicke der Frau gelten dem Zuschauer oder der Campari-Flasche. Ihre Blicke gehen am Mann vorbei zur Kamera hin. Man bekommt das Gefühl, dass innerhalb der Blickritualisierung, die das Objekt einkreisen sollte, die Frau nicht dorthin schaut, wohin sie schauen sollte, damit die vom Zuschauer abgeforderte Blickidentifikation wirksam, d. h. produktbezogen werden könnte, wie dies z. B. bei der Campari-Werbung Fellinis stattfindet. Bei Fellini – wenn Sie sich an seine imaginäre Eisenbahnfahrt erinnern – tendieren alle in das Schnittmuster eingebauten Blicke auf ein Ziel hin: Campari.

Besonders in den Schnittmustern und Montagestrukturen wird der Blick zur Falle, da Blicke stets Bezüge schaffen. Das Bild, das an der Schnittstelle auf den Blick folgt, ist durch die Schaurichtung besetzt. So sieht der Held in Kurosawas RASHOMON sich selbst, obwohl es nur darum ging, die Geschichte wieder neu zu erzählen und zwar nicht, wie es die Montage evoziert, aus der Sichtweise des Helden.

In Antonionis L'AVVENTURA wartet vor einem Hause eine Frau ungeduldig auf ihre Freundin, die im oberen Stockwerk bei ihrem Liebhaber sich aufhält. Unverhofft geht ihr Blick nach oben. Schnitt. Der Zuschauer sieht das Liebespaar und das Publikum lacht. Antonioni wollte nur aufzeigen: Eine Frau schaut ungeduldig nach oben. Der Schnitt evoziert jedoch den Eindruck: Sie sieht das Liebespaar im Bett, was nicht in der Augenbeziehungssituation Antonionis lag. Dies zeigt auf, dass die Blicke im Beziehungsfeld auf der Leinwand und im Bezugssystem zwischen den Bildern zugleich mit dem Blick des Zuschauers zu rechnen haben.

Doch nicht nur der Zuschauer bringt seinen Blick ins Ballett und Duell der Blicke auf der Leinwand und wird nicht nur des Augenblicks teilhaftig, der im dramaturgischen Fluss des erzählerischen Moments stattfindet, sondern auch der Blick des Schauspielers ist oft gleichsam gebrochen fokussiert. Nämlich: Er gilt der Bezugsperson auf der Leinwand und zugleich auch dem Zuschauer.

Diese Brechung hat als Hintergrund, dass im Film mit der Fiktion gearbeitet wird; die Schauspieler nehmen den Zuschauer, respektiv die Kamera gar nicht wahr, sie bewegen sich in ihrer eigenen Welt, in ihrer Kino-Realität. Selbst im Dokumentarfilm versuchten die Filmer so zu tun, als gäbe es keine beobachtende Kamera. Joris Ivens erzählt z. B., wie er in seinem Spanien-Film verlangte, dass die Verwundeten, welche auf Barren an der Kamera vorbeigetragen werden, nicht in die Kamera schauen, damit eine realistische Film-Illusion aufgebaut wird, und man ihn darauf aufmerksam machte, dass es vollkommen dokumentarisch sei, wenn die Menschen auf den Barren in die Kamera schauen, welche sie anblickt, denn die Kamera gehört ebenfalls zur dokumentarischen Wirklichkeit. Dass der Blick des Schauspielers direkt dem Zuschauer gilt, haben wir bei Borowczyks ROSALIE mitbekommen. Godard spielt auch immer wieder mit dem Zuschauer, z. B. in PIERROT LE FOU. Wir sehen das Paar Ferdinand und Marianne in ihrem fahrenden Ford von hinten. Da dreht sich Ferdinand (Jean-Paul Belmondo) um und sagt zur Kamera: Ihr seht, sie macht sich nur lustig. Marianne fragt: „Zu wem sprichst du?“ „Zum Zuschauer“ antwortet Ferdinand. Marianne dreht sich ebenfalls kurz nach hinten und stellt lächelnd fest: „Aha.“

Dieser direkte Einbezug des Zuschauers, den wir z. B. aus den Theater-Komödien kennen, ist im Film selten. Und gerade weil der Zuschauer im Film wie ausgeklammert erscheint, um die realistische, illusionistische Wirkung des Films zu postulieren, erhalten die Blicke innerhalb der Film-Leinwand ihren in sich selbst geschlossenen Bedeutungscharakter. Und anderseits entwickelt der Zuschauer seinen objektbezogenen Blick.

Stars sind oft kurzsichtig. Ihr Blick verliert sich an der Kamera vorbei in der Ferne – dorthin, wo der Zuschauer sitzt. Der Blick dringt – kurzsichtig wie er ist – durch das verschwommen wahrnehmbare Objektiv oder neben der verschwommen wahrnehmbaren Kamera vorbei zu einem imaginären Zuschauer, der den Blick seines Stars sucht. Es ist bekannt: Wenn Brigitte Bardot mit ihren Partnern eine Liebesszene spielt, brauchte sie ein Zeichen hinter der Kamera, wohin sie blicken konnte, so dass sie an der Kamera vorbei einen imaginären Partner anvisierte.

Ich möchte im Folgenden ein Beispiel aufgreifen, das sowohl das Blickspiel der Protagonisten auf der Leinwand – wie wir es z. B. auch in Josef Sternbergs THE DEVIL IS A WOMAN verfolgt haben – als auch das Bezugssystem zwischen den Blicken auf der Leinwand zu den Zuschauerinnen und Zuschauern einbringt.

Der Aufsatz „Visuelle Lust und narratives Kino“ von Laura Mulvey (1972) (In Frauen in der Kunst Edition Suhrkamp, S. 30), welcher auf der Basis einer psychoanalytischen Sichtweise die realen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die Schaulust und die Sinnlichkeit des Sehens thematisiert, bildet die Grundlage für Miriam Hansens Auseinandersetzung mit Rudolf Valentino und seinem magischen Seidenblick.

Valentino wurde rezeptionsgeschichtlich als Exotic und Latin Lover ebensosehr zum begehrten Schauobjekt der Frauen, wie er als androgyn, effeminiert, homoerotisch, masochistisch und narzisstisch als Gegenpol zum heterosexuellen amerikanischen Pionier-Männlichkeitswahn von der Männerwelt abgelehnt wurde. Er war in der Rezeption ein Held der Frauen und ein Feind der Männer.

Schauen wir uns eine Szene aus THE SON OF THE SHEIK (1926) an. Was Karsten Witte in seinem Aufsatz „Rudolph Valentino, der Erotomane des Augenblicks“ (Frauen und Film, S. 32) ein „Blickduell“ und ein „Blickballett“ nennt, ist nicht nur eine Demonstration der Macht der Blicke auf der Leinwand, sondern die Anwendung der Macht des Stars auf das Publikum mit dem Instrument der Blicke, was zugleich auch den Blick der Zuschauerin und des Zuschauers auf den Star involviert.

Was ich im folgenden versuchen möchte, ist eine kleine Rezeptionsübung, denn filmische Machart, welche die Klaviatur der filmischen Gestaltung – und dazu gehört der Schauspieler in seiner körperlichen Gesamtheit – einsetzt, wird nicht nur im Produkt ersichtlich, sondern auch in der Wirkung auf den Zuschauer.

Bei diesem Rezeptionsexperiment ist mir bewusst, dass die historische Distanz sich gleichsam als Riegel dazwischen schiebt, denn 1926 waren die Machtverhältnisse geschlechtsbezogener Publikumsstruktur wohl noch um einiges klarer. Historisch ist – wie bereits gesagt – einzubeziehen: Rudolph Valentino galt mit seinem Seidenblick, der sich von Verführung bis zur eisigen Kälte wandeln konnte, als der unwiderstehlichste Verführer aller Zuschauerinnen im Saal, was den männlichen Zuschauern ein recht einprägsames Eifersuchtspotential eingebracht haben muss. Dennoch, ich versuche das Experiment: Sie sitzen als Mann mit ihrer Partnerin – mindestens vorstellbar – im Kino oder Sie sitzen als Frau mit ihrem Partner – mindestens vorstellbar – im Kino.

Die Frage lautet: Wie erleben Sie heute das historisch nachweisbare Rezeptionsverhalten? Welche Frau – hier im Saal oder in einem imaginären Kino – würde bei der Todesnachricht Valentinos Selbstmord begehen und welcher Mann könnte endlich seinen Hass begraben?

Oder gehen wir anders vor. Falls Sie heute aus Ihrer unserer Zeit zugehörigen Befindlichkeit heraus dieses Rezeptionsverhalten nicht mehr nachvollziehen können, machen Ihnen der Inszenierungsmodus und die filmische Gestaltungsweise ersichtlich, weshalb dieser Eindruck als Ausdruck weiblicher Identifikationsmöglichkeiten und herrschender Machtverhältnissen entstehen konnte.
Zur Situation im Film: Der Sohn des Scheichs (Valentino) hat die Tänzerin (Vilma Bánky) als Raubgut, um an ihr die Rache des Vaters zu vollziehen, in sein Wüstenzelt entführt. Schauen wir uns die Geschichte an.

4. THE SON OF THE SHEIK

Ich selber habe mir zur Fragestellung folgende Gedanken formuliert. Aus dem Blickritual-Schema lässt sich folgendes eruieren: Die Zuschauerin identifiziert sich mit Vilma Bánky, die sich gegen den Sohn des Scheichs wehrt, wie sie sich – so die Geschichte – bereits gegen den Vater mit allen Kräften gewehrt hatte. Sie hasst Valentino – im Film berechtigterweise – und zugleich wünscht sie nur eins, in diesem sadomasochistischen Beziehungssystem vom Exotic Lover – also vom fremden Liebhaber – geküsst zu werden.

Im Blickritual sitzt der männliche Begleiter stets daneben, links und rechts, je nach Spielachse, von Valentino liegen gelassen. Valentinos Blicke, wie sie auch immer beschaffen sein mögen, beziehen die Frau ein und klammern den Mann aus. Der männliche Begleiter sitzt buchstäblich daneben. – oder noch direkter: Sie sitzen als Mann neben der weiblichen Begleitperson im Kino. Rudolph sieht stets nur die Frau an, die im Sessel – auf dem östlichen Diwan auf Teppichen hingebettet – in Schaulust versinkt. Sie sind als Mann stets ausgetrickst. Was Ihnen als Mann verbleibt, sind sadistische Vergewaltigungswünsche. Aber sie gelten, in der Identifikation mit Valentino, der Frau nebenan, wenn Sie das Blick-Ballett auf der Leinwand emotional ernst nehmen.

Und falls Sie als Mann allein im Kino sitzen, können Sie nur noch auf den Tod Valentinos hoffen, der die Frauen in den Selbstmord trieb.

Bringen wir den Zusammenhang zwischen Bild- und Blickinszenierung, Valentinos Blickspiel mit der Partnerin dem Publikum im Saal auf einen einfachen Nenner.
Die Frau identifiziert sich mit dem weiblichen Star und Valentino erlaubt ihr auf Grund seiner Handlungsweise ein reiches Projektionspotential eigener Wünsche, Hoffnungen, Träume ungelebten Lebens und ungelebter Emotionalität einzubringen. Was ihr zugleich in der Schaulust-Empfindung eine Exklusivität verschafft, ist, dass im Blickritual Valentino den männlichen Zuschauer ausspart, so dass sie allein mit ihrem Helden und mit ihren gewünschten und vielleicht zugleich verachteten Identifikationen bleibt.

Im Vergleich zur komplizierten visuellen Beziehungsstruktur- und Kultur, welche Machtverhältnisse visualisiert und emotionalisiert, stellt Tex Avery in seinem Animationsfilm LITTLE RURAL RIDING HOOD (1949) die Schaulust direkter und unmittelbarer, auch machtpolitischer dar..

Der Film gehört dem Themenbereich „Rotkäppchen und der Wolf“ an, den Tex Avery in immer neuen Variationen aufnimmt, um neben den Motiven von Gewalt und Aggression erotische und sexuelle Begierden einzubringen. Ein "Country-Wolf" verfolgt ein Land-Rotkäppchen. Von seinem Cousin in die Stadt eingeladen, erliegt er der Night-Club-Show-Prinzessin. Der "Stadt-Wolf" wiederum gerät in Umkehrung der Situation – angesichts des Land-Rotkäppchens ausser sich. Nicht der Voyeur wird Thema, sondern der Voyeurismus selbst.

Alle Sinne des männlichen Blicks sehen nur noch das weibliche Objekt. In dem bereits zitierten Aufsatz von Laura Mulvey „Visuelle Lust  und narratives Kino“ geht die Autorin in ihrer psychoanalytischen Rezeptionsanalyse von der „Frau als Bild und dem Mann als Träger des Blicks“ aus, mit der Zielsetzung, die männliche Sehweise aufzubrechen, damit die Zuschauerin nicht den männlichen Blick als gültigen, der Kinoproduktion immanenten Zuschauerblick übernimmt und in der Adaption männlicher Seh- und Produktionsweise die Sinnlichkeit des Sehens sich selbst zerstört.

In Tex Averys Rotkäppchenfilm wird die Frau als Schema zum Bild männlicher Vorstellungswelt und der Mann als Träger des Blicks erlebt nur den Aufruhr der Sinne. Sinnliches Sehen verselbständigt sich, wird um das sinnliche Erlebnis gebracht, wird Groteskbild des Aufruhrs der Sinne, die in ihrer Vereinzelung und Verselbständigung niemals getröstet werden können. In Tex Averys „Schaulustfilm“ geht die Schaulust als unerlöslich im Ambossschlag unter. Sie lässt den männlichen Zuschauer zum platt gedrückten, platt gewalzten Schubkarren seiner visuellen Lüste werden.

In der Zerstörung des voyeuristischen, skopophilischen Blickes, der den Grundbestandteil des traditionellen Filmvergnügens ausmacht, will Laura Mulvey zu neuen narrativen Formen des Films vorstossen und den Film aus den neurotischen Bedürfnissen des männlichen Egos herausschälen. Tex Averys Film 1949 entstanden, ist nicht emanzipatorisch, sondern nur zynisch und böse. Wie auch in anderen Filmen, geht Tex Avery immer wieder Genre und Muster des Films an, nicht um zu verändern, sondern in kurzen zitatartigen Momenten die Absurdität normierten Schauvergnügens mit den Mitteln der Verfremdung zu geniessen.

5. LITTLE RURAL HIDING HOOD von Teax Avery

Der voyeuristische Blick wird als solcher erkannt. Doch Kino als Institution kennt keine Emanzipation, denn Kino zementiert reale, emotionelle und politische Machtverhältnisse. Einzelne Filme brechen dies auf, wenn z. B. Borowczyk in ROSALIE aufzeigt, dass die Nahaufnahme des Opfers auf blütenweissem Persil-Hintergrund das Mitleid der Richter auslöst. Nicht der Inhalt, die Machart bestimmt die Entscheidung. Sich in ein Bild verlieben, nicht in den Inhalt und nicht in die Botschaft, lösen als ästhetischer Vorgang ein juristisch nicht begründbares Verständnis aus.

Schauvergnügen lässt sich verschieden verstehen. Franco Zeffirelli liebt grosse Opern als Schaugepräge zu inszenieren. Farb- und materialbesessen vergnügt er sich ästhetisch an den Dekors und an den Bewegungen innerhalb der Dekors. Der Belcanto hat sich in einem Raum von wohlklingenden Farben, stimmendem Licht und grossen Gebärden abzuspielen. Für die Marke Annabella in Pavia gilt es nicht Stimmen, sondern Pelze zu verkaufen. Und so drehte Zeffirelli 1984 wohl eine seiner teuersten Sequenzen – für eine Pelzreklame: Lustgewinn im Tragen eines Pelzes.

Im D’Annunzio-Look und mit Dekadenz-Gebärde, in weichem Peinture-Licht, eingebettet in eine rasche und zugleich fliessende Kamerafahrt inszeniert er ein hinreissendes Umfeld, das die filmgestische Anmache gleichsam in zwei Produkte umsetzt: In einen Kurzfilm, der geradezu prototypisch dem Kino als Schauvergnügen gibt, was das Kino ist, und in einen Reklamefilm, der mit den Mitteln des grossen Films – hier Mannequin, Star, Licht, Farbe, Kamerabewegung und Bewegung im Raum – opernhaft zum Kauf eines Pelzes anmachen soll.

Bei soviel Schmelz ist nicht verwunderlich, dass die Blicke selbst zum Thema werden. Über Blicke treffen sich Mann und Frau, das ist das Klischee. Doch der zweitletzte Blick ist der Blick der Frau zurück in der Handlungs- und Travellingsachse, ob auch alle Anwesenden, somit auch wir als Zuschauer sie, die Schöne, respektive ihren Pelz gesehen haben, der sich bei Annabella in Pavia kaufen lässt.

f

Eine Pelzreklame in einer Vorlesung über Ästhetik und Gestaltung. Wieso nicht? Sinnliches Sehen, wertfrei, ästhetisches Schauvergnügen, Schaulust, besonders wenn man weiss, die teuerste Stilübung über Farbe, Bewegung, Kamerafahrt und weichen Schnitt, wird als Reklame erkannt, als Public Relation desavouiert, so dass nur noch der ästhetisch begründete Machart-Gehalt verbleibt.

Als Ausgleich zeige ich Ihnen einen Anti-Pelz-Reklamefilm, der filmgestalterischer Machart ebenso verpflichtet ist wie der Pelzreklamefilm des Regisseurs von GIULIETTA E ROMEO, THE TAMING OF THE SHREW (Der Widerspenstigen Zähmung) mit Liz Taylor und Richard Burton, TOSCA usw.

Auch der Anti-Pelz-Reklamefilm hat sehr viel mit der Vorstellung, was Film sei, und mit der Anwendung filmischer Machart zu tun. Die Einführung lässt einen Horrorfilm ahnen. Und tatsächlich: In einem Pelzfachgeschäft spielen sich eigenartige Veränderungen ab. Der Griff des Mannes an den Pelz und an die Frau sticht. Die von Zeffirelli modisch verklärte Gesellschaft wird zum Gewürm. Die Maden sind filmisches Zitat. In PANZERKREUZER POTEMKIN assoziiert Eisenstein mit dem von Würmern durchsetzten Fleisch das untergehende Zarentum. Der Vergleich zur Gegenwart der heutigen Gesellschaft ist dem Betrachter resp. dem Konsumenten zu überlassen.

Zu beachten ist, dass die filmische Inszenierung gegen den Kauf eines Pelzes ebenso aufwendig teuer ist wie die Animation zum Kauf eines Pelzes. Damit weist uns die Erscheinung filmischer Gestaltung auf den Produzenten zurück. Er weiss, dass ein Film für oder gegen Pelzkäufe teuer zu sein oder wenigstens teuer zu wirken habe, weil er sonst sein Zielpublikum verfehlt.

7. Anti-Pelz-Film, Video, farbig, 1 Minute

Blicke auf der Leinwand, weil Blicke zu erzählen vermögen. Sie können den Zuschauer einbeziehen oder so tun, als gehörten sie nur ihrer eigenen filmischen Realität an. Einbezogen ist stets der Blick des Zuschauers: Von den einen als Voyeurblick klassiert, von anderen als Aufruf zu sinnlichem Sehen verstanden. Dahinter steht die Frage nach dem narrativen Code. Den einen garantiert er das Geschäft. Anderen bedeutet er das Ende kreativer Rezeption.
Die Grossaufnahme war unser Thema. Ausgehend von PSYCHO fokussierten wir in der ersten Stunde der heutigen Lehrveranstaltung das Auge des Mörders mit dem Blick des Zuschauers. Der Blick findet sein Objekt und leitet aus dem Objekt seine Schaulust ab. Hitchcock rechnet mit den biologischen Möglichkeiten des Auges, denn das Auge bindet die Teile zum Ganzen. Wer das Auge, aber auch das Ohr immer wieder als Akt des Sehens und des Hörens in die kreativen Möglichkeiten der Rezeption einbezieht, ist Antonioni. Er liebt es, unser Auge und unser Ohr in die filmische Dramaturgie aufzunehmen, ja sehen und hören als sinnliche Erfahrung Teil der filmischen Handlung selbst werden lassen. Der Voyeurblick und das auf kleinste Geräusche empfindlich gewordene Ohr erhalten ihren Sinn, indem ihre Wahrnehmungsmöglichkeiten eine Funktion innerhalb der Erzählung erhalten. IN L'ECLISSE situieren Geräusche einen Ort, eine Nacht, eine Befindlichkeit. Afrika entsteht fern von Afrika: Es braucht nicht viel, eine schwarz verschmierte Monica Vitti, ein paar Fotografien an der Wand, einen Tanz. Ein Flugzeug entführt uns ans Ende der Welt, obwohl wir uns inmitten von Italien befinden. Doch die Zeit ist stehen geblieben, das Licht löscht den geografisch bestimmten Ort aus. In BLOW UP, einem Film über Wahrnehmung und Imagination sehen wir über die fotografische tachistisch aufgelöste Vergrösserung einen Revolver im Gebüsch und wir glauben die Leiche zu sehen, obwohl sie nicht zu sehen ist – oder doch. Das Knacken eines Astes lässt uns auch in Wirklichkeit einen Revolver vermuten. Und so wundert es uns nicht, wenn am Ende des Films der Fotograf, der stets die bildlich beweisbare Antwort suchte, mit einem Tennisball, der nicht existiert, Tennis spielt und wir selbst als Zuschauer glauben, die Bahn des Balls im Raum zu verfolgen. Denn der Blick als kreativer Akt ist zu einer imaginären Bedeutung vorgestossen.

ln PROFESSIONE: REPORTER übernimmt ein Reporter die Identität eines Verstorbenen, um in einer Waffenschieberei die Wahrheit zu finden. Es sollte eine journalistische, publizitätswirksame Wahrheit sein. Die Wahrheit ist jedoch, dass er durch die Annahme der Identität auch das Schicksal des Toten zu leben aufnimmt, d. h. dass er in der Identität des Toten zum zweiten Mal getötet werden muss. Dieser Akt endgültiger Identitätssuche legt Antonioni in ein sechsminütiges Travelling. In einer gross angelegten Ellipse verlässt die Kamera den noch lebenden Mister Robertson und kehrt zu einem Toten zurück. In der Zwischenzeit fand der Mord statt, den wir nicht sahen und möglicherweise auch nicht hörten. Denn das Geschehen spielt sich ausserhalb des Gesichtsfeldes ab.

Robertson liegt auf einem Bett im Hotel de la Gloria in Tramonto. Vor seinem Zimmer befindet sich ein Platz, der nach hinten durch die runde Fassade einer Arena abgeschlossen wird. Die Arena evoziert das Gefühl, dass hinter der Mauer wiederum ein Raum ist. Hotel, Platz und Arena liegen auf einer Anhöhe, wie auf einer Kuppel, räumlich wiederum aufgenommen in die Vorstellung eines noch grösseren offenen weiten Raumes einer abendlichen Landschaft.

Fast unmerklich fährt die Kamera aus dem Zimmer, durchfährt das Gitter, schwebt hinaus auf den Platz und kehrt zum Ort der Tat zurück, schaut von aussen, durch das Gitter getrennt, dem Endgeschehen im Zimmer zu. Auf dem Platz inszeniert Antonioni ein reges Geschehen von kleineren und grösseren Handlungen, von Wichtigem und Unwichtigem, von Bewegungen, Stimme, Geräuschen, Sprachen – wie es eben so ist auf einem Platz zwischen einem Hotel und einer Arena.

Das Auge als Blick und das Ohr – letztlich auch als Blick des Ohres – erhalten bei Antonioni wie schon angedeutet eine dramaturgische Funktion. Nämlich er erlaubt uns, uns in das Bild hineinzusehen, uns in die Geräuschwelt einzuhören, so dass wir den Mord situieren können, ohne dass wir ihn sehen.

Ich zeige Ihnen die Endsequenz des Films – es ist eine lange Einstellung. Können Sie mit ihrem Blick und ihrem Ohr den Mord situieren? Ich weiss, es ist eine bekannte Sequenz und ich hoffe, dass viele den Film gesehen haben, aber ich wage diese Übung in sinnlichem Sehen und Hören, auch wenn einige das Ergebnis schon kennen.

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1. Frage: Wer glaubt den Mord präzis situieren zu können?

2. Frage: Wer ist unsicher?

3. Frage: Wer kann den Mord nicht situieren?

Also: In welchem Moment des sechsminütigen Travellings fand der Mord statt?

Der Schwarze geht nach rechts – er ist der Mörder. Was wir in der Folge hören: Türen, Stimmen im Korridor, das Anlassen eines Motors – der Schuss – das Auto fährt von links nach rechts vor, nimmt den Mörder auf und fährt weg.

14 Tage lang arbeitete Antonioni an diesem Travelling. Die Aufnahmen konnten nur immer zur selben Zeit statt finden gegen Abend – im Abendlicht – in der gleichen Zeit, in der im Süden die Winde aufkommen. Und diese Winde destabilisierten die Kamera.

Die Kamera gleitet zunächst – ganz langsam, fast unmerklich – an Schienen hängend aus dem Zimmer, das Gitter öffnet sich, koordiniert zur Kamera, so dass das Gefühl entsteht, dass die Kamera durch das Gitter fährt, dann wird die Kamera ausgeklinkt und an einem Kran angeklinkt. Die Kamera wird von unten mit Seilen geführt, so dass der schwebende Eindruck entsteht. Das Bild wird über einen Monitor verfolgt.

So viel zur Technik dieser Aufnahme: In einer einzigen Kamerabewegung wird die Identität des Reporters festgestellt. Sie bedeutet seinen Tod, denn er war auch als Lebender bereits ein Toter. Mit der Wahl der Identität des Toten zu Beginn des Films schliesst sich der Kreis – der zugleich in der grossen Kamerabewegung gespiegelt wird – der Identifikation von Mister Robertson als Toter. Die Lebensbahn hat sich in ihrer Identität erfüllt.

 

Filmografie:

  • PSYCHO (US 1960) R: Alfred Hitchcock, B: Joseph Stefano, nach einer Geschichte von Robert Bloch, K: John L. Russell, M: Bernard Herrmann, P: Universal Pictures (Alfred Hitchcock), D: Anthony Perkins (Norman Bates), Janet Leigh (Marion Crane), Vera Miles (Lila Crane), John Cavin (Sam Loomis), Martin Balsam (Milton Abrogast)
  • RAIN (US 1932) R: Lewis Milestone, B: Maxwell Anderson, nach einer Erzählung von W. Somerset Maugham, K: Oliver Marsh, M: Alfred Newman, P: United Artists (Joseph M. Schenk), D: Joan Crawford (Sadie Thompson), Walter Huston (Reverend Davidson), William Gargan (Sgt. O'Hara), Matt Moore (Dr. MacPhail)
  • SON OF THE SHEIK (US 1926) R: George Fitzmaurice, B: Frances Marion, Fred De Gresac, nach dem Buch "The Sons of the Sheik" von Edith Maude Hull, K: George Barnes, P: Feature Productions (John W. Considine), D: Rudolph Valentino (Ahmed/The Sheik), Vilma Banky (Yasmin), George Fawcett (André), Montagu Love (Ghabah)
  • LITTLE RURAL RIDING HOOD (US 1949) R: Tex Avery, B: Rich Hogan, Jack Cosgriff, Animation: Grant Simmons, Walter Clinton, Bob Cannon, Machel Lah, P: Metro-Goldwyn-Mayer (Fred Quimby)
  • PROFESSIONE: REPORTER (IT/FR/ES 1975) R: Michelangelo Antonioni, D: Mark Peploe, Peter Wollen, Michaelangelo Antonioni, nach einer Idee von Mark Peploe, K: Luciano Tovoli, T: Cyril Collik, P: Compagnia Cinematografica, Les Films Concordia, C.I.P.I. Cinematografica (Carlo Ponti), D: Jack Nicholson (Locke), Maria Schneider (The Girl), Jenny Runacre (Rachel), Ian Hendry (Knight) 

Bibliografie:

  • MULVEY, Laura: Visuelle Lust und narratives Kino. IN: Gislind Nabakowski, Helke Sander, Peter Gorsen (Hg.): Frauen in der Kunst. Bd. 1. Frankfurt am Main 1980 (= edition suhrkamp ; Bd. 952), S. 30 ff.
  • DE MIRO, Ester Carla: Mythen und Riten im Kino: die erotischen Phantasmen des Imaginären. In: Frauen und Film (Berlin), Heft 33, Oktober 1982, S. 3 ff.
  • HANSEN, Miriam: S. M. Rodolfo. In: Frauen und Film (Berlin), Heft 33, Oktober 1982, S. 19 ff.

[Red.: TC/Stand: 30.4.14]

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