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lic. phil. Pierre-Emmanuel Jaques
Dr. Yvonne Zimmermann
lic. phil. Anita Gertiser
Projektleitung: Prof. Dr. Margrit Tröhler
Laufzeit Teilprojekt 1 und 2: 1. November 2002 bis 30. Juni 2006
Laufzeit Teilprojekt 3: 1. November 2002 bis 31. Oktober 2004
Das Projekt versteht sich als Grundlegung zu einer Mediengeschichte des nichtfiktionalen Films in der Schweiz. Auf der Basis einer filmografischen und archivarischen Bestandesaufnahme von 1896 bis 1964 verbindet es die Analyse einzelner Filme mit der Aufarbeitung von Firmengeschichten sowie der Rekonstruktion von Vertriebs- und Rezeptionszusammenhängen. Das Projekt schliesst eine Forschungslücke, hat sich die Geschichtsschreibung zum Schweizer Film bislang doch weitgehend auf den Spielfilm konzentriert und den Dokumentarfilm tendenziell vernachlässigt, obwohl dieser seit den Anfängen einen bedeutenden Teil der einheimischen Produktion ausmacht und immer auch über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen wurde.
Der Zeitraum der Untersuchung erstreckt sich von 1896 bis 1964. Die Forschung setzt ein mit den ersten öffentlichen Filmvorführungen in der Schweiz und endet mit den Anfängen des so genannten Neuen Schweizer Films um 1964.
Berücksichtigt werden Produktionen aus allen Landesteilen und allen nichtfiktionalen Genres, inklusive Reise-, Kultur-, Lehr-, Auftrags- und Industriefilm. Besondere Aufmerksamkeit widmet das Projekt Bereichen, die in quantitativer Hinsicht einen signifikanten Anteil der Gesamtproduktion ausmachen und/oder eine relevante Funktion der medialen Repräsentation der Schweiz nach Innen und Aussen erfüllen.
Das Projekt zielt einerseits auf die Erarbeitung von filmhistorischem Grundlagenwissen für die gesamte untersuchte Zeitspanne ab und andererseits auf die Entwicklung eines filmtheoretischen Bezugsrahmens für Fallstudien und Einzelanalysen, der auch für nachfolgende Untersuchungen tragfähig sein soll. Es besteht aus drei Teilprojekten von unterschiedlichem Umfang, wobei die Teilprojekte 1 und 2 die Hauptteile darstellen.
Teilprojekt 1 widmet sich dem Reise- und Tourismusfilm und untersucht folkloristische und touristische Motive von den frühesten, noch von ausländischen Firmen in der Schweiz gedrehten Sujets bis zu den volkskundlichen Dokumentarfilmen der frühen Sechzigerjahre. Ausgehend von einer Bestimmung der Strategien, mit welchen Tourismusvereine und Hotellerie Touristen anzulocken versuchten, soll die Repräsentation der Schweiz im dokumentarischen Film analysiert werden. Die Konstruktion einer nationalen Identität hat hierzulande zur Etablierung eines ikonografischen Katalogs geführt, in welchem die Landschaft und insbesondere die Berge eine zentrale Rolle spielen. Um ein Inventar dieser häufig klischierten Bilder zu erstellen ist eine formale Analyse notwendig. Presseerzeugnisse sollen schliesslich darüber Auskunft geben, wie diese Bilder rezipiert wurden. Auch wenn ein Grossteil der Filme dazu beigetragen hat, gewisse traditionelle Komponenten zu verstärken, so gibt es doch auch Filme, die mit kontrastierenden Paradigmen operieren oder die neben den etablierten ländlichen Traditionen auch Elemente der Modernisierung beinhalten, etwa durch die Präsenz der Industrie oder der Transportmittel.
Pierre-Emmanuel Jaques
Teilprojekt 2 behandelt den Auftrags- und Industriefilm. Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die Produktion zweier Schlüsselbranchen der schweizerischen Wirtschaft; auf die Lebensmittelindustrie und auf die Maschinen- und Metallindustrie. Untersucht wird dabei sowohl die filmische Selbstdarstellung einzelner Firmen als auch der Auftritt der gesamten Branche.
Analysiert werden die Firmen- und Branchendarstellungen in zweierlei Hinsicht: Einerseits stellt sich die Frage nach der Konstruktion der nationalen Selbstdarstellung der Industrie gegen aussen und ihrer Auswirkung auf das Image der Schweiz im Ausland als auch auf die Stiftung nationaler Identität im Innern. Andererseits gilt das Interesse der historischen Entwicklung des einheimischen Industriefilms als Reflektion des Selbstbildes und der Befindlichkeit im Spannungsfeld zwischen Krise und Hochkonjunktur, Tradition und Innovation, Fortschritt und Moderne. Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei der filmischen Anbindung der untersuchten Branchen und ihrer Produkte an den öffentlichen Diskurs.
Neben Aspekten der Produktion und der Entwicklung filmischer Darstellungsformen zur Repräsentation einzelner Industriezweige stehen die Bereiche Distribution und Rezeption im Zentrum der Recherchen. Untersucht werden die Vertriebskanäle und Vorführungsstrukturen, das Zielpublikum und die Rezeption des einheimischen Industriefilms im In- und Ausland.
Yvonne Zimmermann
Teilprojekt 3 zum Schul- und Lehrfilm untersucht die Nutzung von Dokumentarfilmen für pädagogische Zwecke. Ausgehend vom Kampf gegen den Schundfilm und dessen schädlichen Einfluss auf die jugendlichen Zuschauer sollen die Debatten um Filmzensur, Kinoreform und Gesetz genauer verfolgt werden. Neben den negativen Seiten des Films wurde zugleich erkannt, dass die Suggestionskraft der laufenden Bilder sehr wohl auch zur Bildung des Publikums eingesetzt werden kann. Im Zentrum steht dabei der Verein Schweizer Schul- und Volkskino, der, 1921 gegründet, verschiedene regionale und private Initiativen bündelte. Gestützt auf die drei Pfeiler: Filmverleih, Wandervortragsdienst und Filmproduktion baute der SSVK ein effizientes Netz auf, das selbst entlegene Dörfer mit «guten» Filmen versorgte.
Neben diesen Aspekten gilt das Hauptaugenmerk dem formalen Aufbau des «guten» Schul- und Lehrfilms. Welche didaktischen, narrativen und filmischen Mittel wurden eingesetzt, um den lehrreichen oder erzieherischen Effekt zu erreichen? Anhand von Sport- und Hygienefilmen zur Förderung der Volksgesundheit soll die Entwicklung der filmischen Darstellung sowie Rezeption von Schul- und Lehrfilmen nachgezeichnet werden. Teilprojekt 3 ist im Sinne der Nachwuchsförderung als Dissertationsprojekt angelegt.
Anita Gertiser Riniker
Die Forschungsergebnisse wurden und werden in Form von Referaten an Tagungen und Kongressen sowie in Aufsätzen in Fachorganen und anderen Medien präsentiert.
Ein weiteres Ziel des Projekts besteht darin, mit der Zusammenstellung und Präsentation spezifischer Filmprogramme im Rahmen von Sondervorstellungen oder Filmfestivals ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Folgende Programme wurden bereits durchgeführt: je eine Spezialprogramm dokumentarischer Filme in der Reihe Sortie du Labo in der Cinémathèque suisse in Lausanne im Juni 2005 und im Lichtspiel in Bern im November 2005; ein Auftragsfilmprogramm an der «Nuit du court métrage» in Lausanne im November 2005; ein Industriefilmprogramm (2 Blöcke) an den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur im November 2005. Zudem strahlte das Schweizer Fernsehen SF im November / Dezember 2005 in der Sendung «Schweiz aktuell» eine vierteilige Industriefilmserie mit dem Titel «Zeitreisen ins Landesinnere» aus.
Im April 2008 ist im Rahmen von Visions du Réel in Nyon eine breit angelegte Retrospektive zum dokumentarischen Film in der Schweiz geplant.
Die Forschungsergebnisse wurden schliesslich in Form einer Buchpublikation zugänglich gemacht:
Schaufenster Schweiz: Dokumentarische Gebrauchsfilme 1896-1964.Zürich: Limmat Verlag 2011.
Herausgegeben von Yvonne Zimmermann. Mit Beiträgen von Anita Gertiser, Yvonne Zimmermann und Pierre-Emmanuel Jaques.
584 S., 400 Fotos und Abbildungen, ISBN 978-3-85791-605-2
«Schaufenster Schweiz» präsentiert erstmals eine kohärente Geschichte des dokumentarischen Films in der Schweiz bis 1964. Im Mittelpunkt stehen Reise- und Tourismusfilme, Industriefilme sowie Schul- und Lehrfilme und ihre Verwendung für Aufklärung, Werbung und Bildung. Diese ‹Gebrauchsfilme› geben Aufschluss über die vielfältigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Funktionen des Mediums Film jenseits der kommerziellen Kinounterhaltung. Sie haben Bilder und Vorstellungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat entworfen und international verbreitet, haben imaginäre Gemeinschaften gebildet, Waren- und Staatsbürgerkunde betrieben, Medien- und Konsumkultur eingeübt, das nationale Selbstverständnis geprägt und an der Modernisierung des Landes mitgewirkt. Das Buch ist mit seiner umfangreichen Filmografie ein Standardwerk zur Schweizer Mediengeschichte. Es erschliesst ein reiches kulturelles Erbe und sensibilisiert für seine prekäre Überlieferungssituation.