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Seminar für Filmwissenschaft

Viktor Sidler: Kino der Dreissiger- und Vierzigerjahre

Vorlesung 5

Am Ende der letzten Stunde brachen wir die Vorführung von Pabsts Film KAMERADSCHAFT ab, weil wegen des Versagens der Technik aus einem Tonfilm wieder ein Stummfilm geworden war.
Und zwar fiel der Ton in dem Moment aus, als die Sequenz mit dem schlagenden Wetter begann: das im Stollen vorhandene unsichtbare Gas setzte sich in Feuerexplosion, wie wenn ein Drachen Feuergarben speien würde.
Als der Ton abbrach, liess sich, glaube ich, nachvollziehen – ganz unverhofft – , was Tonfilm heisst. Ich weiss nicht, wie es Ihnen erging. Mir fiel auf: In dem Moment, wie der Ton wegfiel – die Explosionsgeräusche, die Rufe der Männer – und nur noch Stille war, wurde das Bild visuell schön: lodernde Flammenexplosionen in der Dunkelheit der Stollen – wurde die Machart ersichtlich: die Kamera fährt in einem raschen Travelling vor den fliehenden Männern her. Im stummen Bild wurden die ikonographischen Qualitäten wirksam: Lichtkaskaden, Bewegungsvorgänge. Das Bedrohliche, Gefährliche lag offensichtlich im Ton. Die Kamerafahrten, von Schreckensschreien begleitet, die Feuerfarben, in akustische Geräuschstösse umgesetzt, schaffen eine hörbare Bedrohung. Töne scheinen mehr zu schrecken als Bilder.
(Wie wäre es mit einem Experiment: Was würde Sie mehr erschrecken: eine Stichflamme, die hier aufsteigt, oder das Geräusch einer ohrenbetäubenden Explosion, oder beides zusammen)
Sie müssten nicht Angst haben. Sie sind in einer Vorlesung über Filmgeschichte – und nicht in der Chemie.

Pabst hatte in der Endphase des deutschen Stummfilms eine filmische Gestaltung gefunden, die gemäss den Forderungen der Neuen Sachlichkeit nach einer objektiven Darstellung der Umwelt, den filmischen Realismus zu einem brillanten Illusionismus werden liess.
So bedeutete der Tonfilm für Pabst eine Erweiterung der Möglichkeiten, auf der Leinwand eine nachvollziehbare, authentisch wirkende Realität aufzubauen. Doch Pabst, stellten wir fest, gebrauchte – nach seinem ersten Tonfilm WESTFRONT 1918 die filmischen Gestaltungsmittel und sein beachtliches Handwerk, um aus der Leinwand eine "Laterna magica" zu machen, – konkret die Welt von Soho mit Mackie Messer, Tiger Brown und Polly und Jenny so hinzuzaubern, dass zum Überdenken kein Anlass mehr besteht.

Dass es einen anderen Weg gegeben hätte, zeigt sein Film KAMERADSCHAFT. Wenn ein Film von solcher realistischen Perfektion ist, wie z. B. Pabsts KAMERADSCHAFT, wird entscheidend, welche Inhalte in dieser gekonnten, meisterhaft beherrschten Form vermittelt werden. Schauen wir uns die deutsche Filmsituation näher an: Die Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm ist in Deutschland zugleich die Zeit von Weimarer Republik zur Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur. Damit wird die Frage nach der herrschenden Filmästhetik und dem Verständnis, was Film sei – ob Teil eines Bewusstseinsprozesses oder Hilfsmittel zur Verhinderung von Bewusstseinsprozesse, auch historisch, gesellschaftspolitisch relevant. Die Frage nach der filmischen Form und filmischen Gestaltung als Transportmittel der zu vermittelnden Inhalte wird zu einer politischen Frage.

Um die Übergangszeit klarer umschreiben zu können, möchte ich mit ein paar Hinweisen die Entwicklung des deutschen Films skizzieren.

Nach der Zeit der expressionistischen Filme prägten Murnau, Lang, Pabst den deutschen Stummfilm und verschafften ihm internationales Ansehen. Als der Tonfilm in die deutschen Studios einbrach, besass der deutsche Stummfilm – ähnlich dem amerikanischen Stummfilm – eine eigene unverwechselbare filmische Sprache, die sich genau umschreiben liess: die entfesselte Kamera eines Murnau, die plastische Raumgestaltung eines Lang und Pabsts intensive Annäherung an realistische Erzählstrukturen. Und allen war eine von Stimmung und zugleich von Gegenständlichkeit getragene, sinnliche Fotografie eigen.

1930 entstand in Deutschland noch einer der schönsten und lebendigsten Stummfilme: MENSCHEN AM SONNTAG von Robert Siodmak, Fred Zinnemann und Edgar Ulmer nach dem Drehbuch von Billy Wilder: ein antizipierter Neorealismus, wie er in Deutschland nicht mehr möglich wurde. Wie sehr der deutsche Stummfilm in Gewohnheit und Tradition verhaftet war, zeigt sich auch darin, dass noch 1931, als Hollywood bereits voll auf den Tonfilm umgestellt hatte, 2/3 der Filme Stummfilme waren.

Am Anfang des deutschen Tonfilms steht jenes Triergon-Verfahren, das von der deutschen Industrie nicht erkannt, über eine schweizerische Finanzgruppe an die Fox Corporation in Amerika gelangte, sodass nach dem Erfolg des amerikanischen Tonfilms die noch in Deutschland verbleibenden Patentinhaber ein von der amerikanischen Industrie unabhängiges Tonfilmsystem schaffen mussten, was mit der Gründung der Tonbild Syndikat AG (Tobis) geschah. Am 8. Oktober 1928 schliessen sich die Elektroindustrien AEG, Siemens und Telefunken zur Klangfilm GmbH zusammen, sodass in Deutschland auf dem industriellen Sektor die Vereinheitlichung abgeschlossen ist. Das ist die Voraussetzung, um sich gegen den amerikanischen Marktanspruch an der Einigungskonferenz in Paris durchzusetzen.

Der erste deutsche Tonfilm war Walter Ruttmanns MELODIE DER WELT, 12. März 1929 uraufgeführt.
Ruttmann war durch seinen der "Neuen Sachlichkeit" verpflichteten Querschnittfilm BERLIN, SYMPHONIE EINER GROSSSTADT (1927) berühmt geworden. In diesem Film montierte er Beobachtungsmaterialien vom Leben einer Grosstadt von morgen früh bis tief in die Nacht zu einer rhythmisierten Montage. Ruttmann fühlte sich wie Pabst der "Neuen Sachlichkeit" verbunden, die – nach einer Definition von Hartlaub, dem Direktor des Mannheimer Kunstmuseums – als Ziel hatte, die "Dinge objektiv zu behandeln, so wie sie sind, ohne in ihnen eine ideelle Bedeutung zu suchen."
Ruttmann gehört auch zu jenen Regisseuren, die den Ton theoretisch zu entdecken versuchten, bevor sie die entsprechenden Filmen drehen konnten.
Seine Ratschläge muten wie eine Einführung die Möglichkeiten des Tonfilms an:

Walter Ruttmann  (Ciné-Journal, no 1059, 13/12/29)

Man hört eine Explosion und man sieht das Gesicht einer erschrockenen Frau.
Man sieht einen Boxkampf und hört die Geräusche der Menge.
Man hört eine Geige ächzen und man sieht eine Hand behutsam eine andere streicheln.
Man hört die Worte, um zugleich ihre Auswirkung auf dem Gesicht eines anderen zu sehen.

Die ersten deutschen Stummfilme sind Filmoperetten wie [Willhelm] Thieles DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930) oder [Erik] Charrells DER KONGRESS TANZT (1931), die in ihrem Optimismus oder in ihrem historischen Glanz sich gegen die Misere der Depression stellten, dann aber auch Filme, die die Stimmung des Unheimlichen, Bedrohlichen, Schicksalshaften wiedergaben: [Fritz] Langs M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER, (1930) und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933). Hier wird die in der Zeit wirkende Angst in Kriminalfilme eingebracht, die nicht Fälle darstellen, sondern die Bedrohung durch pathologische Verhaltensformen, anonyme Organisationen, die mit gelenktem Terror staatsgleich agieren.
Slatan Dudows KUHLE WAMPE wird unter dem Einfluss Brechts und mit der verfremdenden Musik Eisslers zu einem Lehrfilm über gesellschaftliche Zustände. Aber auch der nationalistische Film wird deutlicher: [Gustav] Ucickys FLÖTENKONZERT VON SANS SOUCI (1930). Neue Namen tauchen auf, die im nationalsozialistischen Film führend werden. Leni Riefenstahl dreht 1932 DAS BLAUE LICHT. Die Mythen breiten sich aus.

Wenn wir in diesen filmgeschichtlichen Kontext die Filme Pabsts stellen, wird der Entscheidungscharakter der Situation noch deutlicher, ob der von der Neuen Sachlich­keit geprägte filmische Realismus sich als eine Annäherung an die Wirklichkeit versteht oder als Möglichkeit, die politisch-gesellschaftliche Realität mit einer Kinowirklichkeit zu überdecken.

Wir werden später verfolgen, wie Josef Goebbels in guter Kenntnis des Films jene Filmästhetik aufnahm, die als eine Authentizität der Vergangenheit oder Gegenwart wiedergab, was es in Wirklichkeit gar nicht gab. Hier liegt auch die Voraussetzung zur viel gerühmten deutschen Filmarchitektur.

Ein weiteres bezeichnendes Beispiel für die Übergangssituation ist Josef von Sternbergs DER BLAUE ENGEL (1930). Erich Pommer, der bedeutendste Filmproduzent des deutschen Stummfilms, bekam von der UFA den Auftrag, den Übergang zum Tonfilm zu leiten. So holte er Josef von Sternberg nach Berlin, der in Wien, bevor er nach Hollywood ging, noch Jonas Sternberg hiess, um für die UFA einen Film zu drehen, der die neuen Möglichkeiten des Tons zur Darstellung und Wirkung bringen sollte.
In Hollywood war Josef von Sternberg mit Filmen wie UNDERWORLD (1927) und THE DOCKS OF NEW YORK (1928) berühmt geworden.
Sternberg übertrug dann erfolgreich die expressive Lichtgestaltung des deutschen Films und teilweise auch die impressionistische Fotografie des französischen Films in die Kulissenwelt Hollywoods. So gerieten seine Gangsterfilme zur Stimmungsmalerei, zur Inszenierung von Fetischismen.
Was Sternberg wollte, war eine perfekte Kino-Künstlichkeit.

Dazu gehörte auch, eine erotisch wirksame Frauenfigur herzustellen, einen weiblichen Star zu fabrizieren. Evelyn Brent wirkt in UNDERWORLD wie eine Vorstudie zu Marlene Dietrich. In DER BLAUE ENGEL gelang ihm beiden: das perfekte Kino und die aus Reizwirkungen zusammengesetzte Montage eines weiblichen Stars für das neue Medium Tonfilm. Körper und Stimme sollten die visuell-akustische Einheit signalisieren.
Anschliessend kehrte Sternberg wieder nach Hollywood zurück, um mit seinem Kunstprodukt Marlene Dietrich eine Reihe von Filmen zu drehen – wie MOROCCO (1930), SHANGHAI EXPRESS (1932), THE SCARLETT EMPRESS (1934), THE DEVIL IS A WOMAN (1935).
1935 entliess ihn die Paramount, für die er acht Jahre lang gearbeitet hatte. Als seine Filme keinen finanziellen Gewinn mehr einbrachten, wurde seine Herrenmensch-Arroganz unerträglich.

Ein Ausschnitt aus DER BLAUE ENGEL, der ein Markenartikel der deutschen UFA wurde, soll uns noch einmal verdeutlichen, was uns bei Pabsts DIE DREIGROSCHENOPER beschäftiget hat.
Was Sternberg interessiert, ist ein aus Kulisse, Licht und Handlung aufgebautes Kino, sind die visuellen und akustischen Reize, welche von der Leinwand auf das Publikum einwirken. An Sternbergs Filmen ist alles bewusste Inszenierung oder wie Sternberg selbst sagt: "arrogante Geste".
Die Dietrich erscheint als kühl kalkulierte Montage eines Stars, der als gut einmodellierter Licht- und Bewegungsträger für die Kamera da zu sein hat. Jede Geste, jedes Kleidungsattribut, jedes fetischistische Accessoire, jedes Glanzlicht und jeder Raumbezug ist Teil eines künstlichen Arrangements.
Im Film DER BLAUE ENGEL lässt sich noch in der Experimentier- und Produktionsphase nachvollziehen, aus welchen Attributen Sternberg seinen Star aufbaute. Wenn man sich den Filmausschnitt anschaut, bekommt man das Gefühl, dass Sternberg die Kino-Figur mit verschiedenen fetischistischen Accessoires ausstattete und dann jenen Fetischismus ausbaute, der am meisten Erfolg versprach.
Es ist die Frage, hatte die Dietrich wirklich so schöne Beine?

Sternberg selektioniert, filmisch gesehen, Dietrichs "Beine", aber er probiert auch andere Reizwirkungen aus, die dann später aus dem Accessoire Sternbergs wieder verschwinden, z. B. den Po, den Hintern und das ganze Fantasiefeld von Höschen und Assoziationen.
Wenn Sie das folgende Beispiel anschauen, versuchen Sie sich einmal – im Sinne einer Anregung – zu überlegen, welche Elemente Sternberg in der Folge fallen liess oder ausbaute, kultivierte, mystifizierte.
In gleicher Weise werden filmische Genres aufgebaut. Eine Filmgattung setzt sich aus bestimmten sofort erkennbaren Elementen zusammen, aus bestimmten Bildtopoi, die, in eine festumrissene Form gegossen, in den betreffenden Film einmontiert werden.

Im Film DER BLAUE ENGEL ist bereits Sternbergs Filmverständnis vollkommen ersichtlich. Er ist von den filmgestalterischen Möglichkeiten einer visuell-akustisch-sinnlichen Alchemie fasziniert, welche auf der Leinwand Mensch und Kulisse, von Licht moduliert, wie eine Verzauberung erschienen lässt. Sternbergs Realistik ist die filmische Gegenwart auf der Leinwand.
Sternbergs DER BLAUE ENGEL ist, 1930 entstanden, mit Premiere am 1. April 1930, einer der ersten Tonfilme. Zur umschriebenen filmischen Gegenwart gehört nun auch, dass die Leinwand als akustischer Raum erfahren wird. In einer der folgenden Szenen spielt sich das Geschehen im Umkleidezimmer Lolas ab, einem an sich ruhigen Ort. Doch von beiden Seiten, vom Aufenthaltsraum der Artisten und von der Bühne dringt die Aussenwelt, nicht nur visuell, sondern auch akustisch ein, sodass über die Tonpartitur eine eigentliche Topografie des Handlungsortes entsteht.

Sternberg drehte 1930 DER BLAUE ENGEL in Deutschland. Noch im gleichen Jahr arbeitet er wieder in Hollywood und baut in den folgenden Jahren bis 1935 ein eskapistisches Kino von Fantasie und Abenteuergeschichten auf. Sein Shanghai in SHANGHAI EXPRESS ist so artifiziell wie sein Spanien in THE DEVIL IS A WOMAN und wie sein Russland in THE SCARLETT EMPRESS. Dass sein Shanghai, sein Spanien, sein Russland als filmische Wirklichkeit stimmt, so stimmt, dass sich, um noch einmal den Begriff der "arroganten Geste" für die Dominanz perfekter Inszenierung aufzunehmen, sich letztlich das wirkliche Shanghai, das wirkliche Spanien und das wirkliche Russland, dem Kino-Shanghai, dem Kino-Spanien, dem Kino-Russland anzupassen hätten.
Der Zuschauer wäre in Shanghai enttäuscht, nicht das Hollywood-Shanghai wiederzufinden. Schauen Sie sich einmal in Casablanca nach Casablanca um!
Zur Kinowirklichkeit der Dreissiger- und Vierzigerjahre gehört auch die Häufung magischer Namen des Kolonialismus als attraktive Filmtitel: Morocco, Shanghai, Macao, Tanger, Casablanca, Gibraltar. Sternberg kehrte nach Hollywood zurück.

Was ist aus dem amerikanischen Tonfilm geworden?
Ich möchte zunächst verfolgen, auf welche Weise sich jene Filmgattung entwickelt hat, die dem Tonfilm zum Durchbruch verholfen hatte: der Musik-, Gesang- und TanzfiIm.
Zwei entscheidende Wandlungen spielten sich ab. Da in New York die ersten Tonstudios entstehen, ziehen die Tonfilmproduzenten von Hollywood nach New York, wo am Theater-Broadway sich auch ein unerschöpfliches Reservoir an Ideen, neuen Gesichtern, Tänzern, Sängern vorfindet. Zugleich wird der Zwang zum Direktton aufgehoben und der Kamera die Beweglichkeit wieder zurückgegeben.

John Murrays KING OF JAZZ (1930), Harry Beaumonts BROADWAY MELODY (1929) und Ernst Lubitschs THE LOVE PARADE (1929) sind Musik-, Gesang-, Revue- und Tanzfilme, die den Theaterraum aufbrechen und den Studioraum für die visuellen und akustischen Spielformen gewinnen, an denen nur die Szenenarrangements, sondern ebenso sehr eine von den Fesseln des Tons befreite Kamera Anteil haben.

Busby Berkeley

Hier finden sich die Voraussetzungen für jene Filme, in denen Busby Berkeley seine Tanz- und Kamerachoreographien einbrachte.
Bezeichnend für diese Filme ist einmal, dass sie in zwei Teile auseinanderbrechen: einerseits in die eigentliche Komödie, die der Broadway-Komödie entsprach und von Regisseuren wie Lloyd Bacon, Mervyn LeRoy, Frank Tuttle, William Dieterle inszeniert wurden, und anderseits in die Gesang- und Tanznummern, die das Broadway-Revuetheater in die gigantischen Studios brachte und es der schwebenden, lebenden Kamera Berkeleys aussetzte.
Busby Berkeley ist wohl eine der eigenartigsten Erscheinungen des frühen amerikanischen Tonfilms. Völlig filmunerfahren kam er, nachdem er seit 1927 am Broadway als "Dance Director" gearbeitet hatte, 1930 zur MGM und wechselte – enttäuscht von MGM – 1933 zu den Warner Brothers, die bereits wieder vor dem Bankrott standen. Für die WB begann er seine glanzvollen Filmrevuenummern zu drehen. Als ein eigentliches Film-Greenhorn verstand er nicht, weshalb eine Szene mit 3 bis 5 Kameras aufgenommen werden sollten, damit anschliessend ein Cutter eine in Einstellungen zerstückelte Sequenz montieren konnte. Berkeley entschloss sich, denn er habe auch nur ein paar Augen, nur noch eine Kamera einzusetzen – nämlich jene Kamera, neben der er selbst war. Mit langen Kamerafahrten sollten in wenigen Einstellungen ganze Szenen erfasst werden. Der Cutter konnte nur noch aneinanderreihen, was Berkeley ihm als Tanz der Kamera abgab.
Für die Kamerafahrten liess er einen beweglichen Kranen entwickeln und Löcher in die Dächer der Studios schlagen, damit er mit seiner Kamera möglichst weit zurückfahren oder wie ein Verrückter auf die Tanzszene, auf die Girls von oben hinunter stechen konnte. Dieses Verfahren der "Top Shots" wollte der Kamera jegliche Grenzen nehmen und ihr eine volle Freiheit der Bewegung, der Überraschung, der Spontaneität geben.

Zitat eines Mitarbeitenden:

An einem unsicheren Sitz neben dem Kameramann auf dem größten Kamerakran des Studios festgeschnallt, stürzt Berkeley aus unglaublichen Winkeln auf die stets beunru­higten Akteure hinunter, die verzweifelt versuchen, die Ruhe zu bewahren angesichts dessen, was ihnen wie der Angriff einer P-40 vorkommt.

Der Kamerakran selbst war ein "Mono-Rail", nämlich ein fahrbares Gerüst, auf welchem der Kamerawagen auf Schienen hoch- und niederglitt, so dass man in einer einzigen Einstellung von nah auf die Totale und umgekehrt fahren konnte.
Für das filmische Greenhorn Berkeley bedeutete filmen, mit der Kamera die gleichen Bewegungsrituale in den Raum zeichnen, die es als laufend sich kaleidoskopisch verwandelnde Ornamente weiblicher Körper auch zu filmen galt.
Weder für die Verwandlung der Arrangements noch für das gleitende Kameraauge gab es Grenzen.
Ruby Keeler, Berkeleys grosser weiblicher Star, schildert dies folgendermassen:

Er war ein eindringlicher, eigensinniger Mensch, übersprudelnd von Ideen. Er mischte sich überall ein und schien alles zu wissen. Er stritt immer mit Kameramännern und Komponisten und Produzenten, die ihm stets sagten, das dass, was er wollte, nicht zu machen sei. Aber es wurde gemacht, genau so, wie er es haben wollte, Seine Überzeugung war, dass alles möglich ist.

Und möglich war es auch, dass die Girls um ihre Individualität gebracht, wieder zu einem in sich geschlossenen Luxuskörper wurden, der als Menschornament, als lebendes Material steter Veränderung sich selbst genügte.
So erzählt Berkeley selbst, wie er bei einem Test von 723 Bewerberinnen ausschliesslich 3 Mädchen auswählte und voller Selbstbewunderung ihre Anonymität genoss: "Meine unter Vertrag stehenden sechzehn Girls sassen an der Seite und warteten: nachdem ich die drei Girls ausgesucht hatte, setzte ich sie neben die sechzehn Girls, und sie glichen einander genauso wie Perlen."
Girls als Linien gezogen, zu Ornamenten geordnet, lebende Strukturen, eine privatwirtschaftlich finanzierte Körperrevue, – man assoziiert die Parteitage von Nürnberg, die staatlich inszenierten und finanzierten Körperornamente männlicher Paraden.

Es liessen sich zwei Filme hier projizieren: Berkeleys Filmrevuen als Ausdruck Hollywood'scher Verschwendung und Leni Riefenstahls Körperapotheosen als Demonstration kriegerischer Macht. Die Strukturen beginnen sich zu decken.

Berkeley selbst war 1917 als Freiwilliger in den Krieg gezogen, aber man fand für ihn nur Verwendung hinter der Front zur Überwachung des Exerzierens.
Berkeley erzählt:

Das alle Exerzierreglement langweilte mich bald, und um die Sache interessanter zu machen, bat ich den Colonel, etwas anderes probieren zu dürfen. Ich hatte für die zwölfhundert Soldaten einen trickreichen Drill ausgearbeitet. Die einzelnen Bewegun­gen kennzeichnete ich durch Nummern und gab den Gruppenführern Merkblätter für ihre Kompanien und ließ sie die ganze Sache ohne hörbare Befehle ausführen. Da die einzelnen Exerzierübungen nummeriert waren, konnten die Soldaten ihre Bewegungstakte auszählen, wenn sie sie einmal gelernt hauen. Es war schon eine grosse Sache, einen von Trupps und Kompanien gefüllten Paradeplatz zu sehen, die in Formation marschierten, in absoluter Stille.
(Das amerikanische Oberkommando erklärte diesen Trick sogar für "top secret".)

Wir werden heute in der Tanzszene aus FOOTLIGHT PARADE (1933) diese Militär-Arragements wieder aufgreifen.

Ein paar Dias zur Arbeitsweise
1. Mono-Rail
2. GOLD DIGGERS. "Petting in the Park"
Regen, sich umziehen, ein Zwerg zieht die Lammellen hoch und die Mädchen sind in Blechkostümen, die wie Konserven von den Männern geöffnet werden müssen

3. DAMES. Wo ist die Keeler, in Spiegelungen, die vollkommene Austauschbarkeit

Zu Beginn des Films treten Girls im Dollar Flitterglanz gekleidet auf und singen das Lied auf das grosse Geld, auf Verschwendung und Überfluss.

GOLD DIGGERS OF 1933
We are in the money
"Wir schwimmen im Geld" (Chor)
Wir schwimmen im Geld
Wir schwimmen im Geld
Wir haben viel, um davon leben zu können
Wir schwimmen im Geld
Der Himmel ist sonnig
Alter Mann Depression, du bist vorbei
Du hast uns weh getan
Wir sehen nie eine Schlagzeile
Doch Schlange stehen wir heute
Und wenn wir den Hausbesitzer sehen
Können wir diesem Popanz
Gerade direkt in die Augen schauen
Wir schwimmen im Geld
Komm, meine Süsse,
Lass es uns ausgeben, ausleihen
Denn wir schwimmen im Geld, jetzt!

Während jedoch Ginger Rogers inmitten der Dollarkulissen ihr Apotheose auf jenes Geld singt, das als Leitmotiv den ganzen Film durchziehen wird, dringen die Pfändungsbeamten in das Theater ein und entkleiden die Girls buchstäblich ihres Dollarglanzes.
Auf solch dialektische Weise oder mit ironischem Glanz versehen, beginnt ein Film, zu dem Busby Berkeley selbst sagte:
"In einer Zeit des Schlangestehens, der Depression und der Kriege versuchte ich, die Leute aus all dieser Misere herauszuführen, ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Ich wollte die Menschen glücklich machen, sei es auch nur für eine Stunde."

Doch der Film wird noch erstaunlicher. Am Ende des Films, –  nach einer ganz auf Glamour und Verschwendung ausgerichteten Sequenz "The Shadow Waltz" – Kostüme aus schwebender chinesischer Seide und einem Lichterspiel, das sich zu in der Schwärze leuchtenden Geige formt, folgt eine grossangelegte Schlussszene. Männer ziehen siegessicher in den Krieg, kommen verwundet, geschlagen, zerfetzt vom Schlachtfeld zurück, kehren heim und werden zu Arbeitslosen.

"In dieser Show geht es um Depression – Männer marschieren – marschieren im Regen – marschieren – marschieren – Arbeit – Arbeit – marschieren – marschieren – marschieren im Regen – und im Hintergrund wird Carol sein – der Geist der Depression – ein trauriges Lied – nein, kein trauriges Lied – eher eine Wehklage – eine Wehklage – und diese Frau – diese prachtvolle Frau – die dieses Lied singt, das zum Herzzerreissen ist – diese grosse Parade – diese grosse Tränenparade.

Und das Lied selbst dieser "Depressionsrevue", gesungen von Joan Blondell, als eine Prostituierte an einen Laternenpfahl gelehnt, und am Ende wieder, umgeben von knienden Männern, als wäre sie die Maria aus Langs METROPOLIS, lautet:

Remember my forgotten man
"Erinnerst Du Dich meines vergessenen Mannes?
Du hast ihm ein Gewehr in die Hand gedrückt,
Und Hurrah dazu geschrien,
Doch schau’ ihn Dir jetzt an!
Du liesst ihn das Land bebauen,
Er schritt hinter dem Pflug
Der Schweiss tropfte ihm von der Stirn’,
Aber schau’ ihn Dir jetzt an!
Und früher liebte er mich –
Ich war glücklich, damals
Er nahm sich meiner an, früher.
Bringst Du ihn mir wieder zurück?
Denn, seit dem es diese Erde gibt,
Gehört ein Mann zu einer Frau.
Ihn zu vergessen, siehst Du,
Bedeutet, dass Du mich vergisst,
So wie meinen, meinen vergessenen Mann."

Und nun müssen wir uns vorstellen: Die Revuenummer beschwört die Nachkriegssituation aus dem Jahre 1920, da eine kurzfristige Depression die amerikanische Wirtschaft überschattete.
1933, wie Berkeleys Film abgedreht wird und in die Kinos kommt, beträgt die Zahl der Arbeitslosen 15 Millionen. Ein Drittel der zuvor Beschäftigten.

Barock und verschwenderisch werden "Liebeswiese" und "Depressionszeit" in gleicher Weise – zur Zeit einer aktuellen Depression – auf die Leinwand gebracht. Vor den Kinos stehen jene Arbeitslose, die auf der Leinwand zum Ornament werden.
Kracauer geht in einem 1931 erschienen Aufsatz "Girls und Krise" dem Zusammenhang zwischen theatralischem und filmischen Glamour und dem Elend auf der Strasse nach.

Mervyn LeRoy, selbst Regisseur der GOLD DIGGERS erklärte später:
"In den GOLD DIGGERS machte mein Instinkt Mehrarbeit. Ich fühle, dass das Publikum übersättigt war, wenigstens zu jener Zeit, von den realistischen Filmen, die den Markt überfluteten, und denen ich selbst die Tore mit LITTLE CAESARS geöffnet hatte. Jetzt, da die Depression langsam zu Ende ist, fühlte ich, dass sie etwas Fröh­licheres wollten, Spritzigeres, Verschwenderisches. Ich wusste, ich hatte den Drang, diese Art von Kino zu machen. Ich hatte meine Chance mit GOLD DIGGERS OF 1933."

Vor dem Hintergrund solcher Widersprüche ist es nicht erstaunlich, dass GOLD DIGGERS OF 1933 zu den verschiedensten Interpretationen Anlass gab. So erscheint einerseits der Film als Aufarbeitung amerikanischer Vergangenheit und Gegenwart, als Darstellung von Obsessionen wie Geld und Karriere und als Darstellung der Angst vor der Armut, die als eine immerwährende Bedrohung erscheint. Anderseits wird Berkeleys Depressionsfilm umso mehr als eskapistisch umschrieben, als auch das schlechte Leben über das glanzvolle szenische Arrangement im "High Life", wie übrigens eines der Drehbücher zu diesem Film betitelt war, aufgehoben erscheint.

Ich greife hier noch einen anderen Berkeley Film auf, der ebenfalls 1933 Premiere hatte: FOOTLIGHT PARADE von Lloyd Bacon.

Ich greife hier noch einen anderen Berkeley Film auf, der ebenfalls 1933 Premiere hatte: FOOTLIGHT PARADE von Lloyd Bacon.
Um uns die Wucht dieser Unterhaltungsstätte zu vergegenwärtigen, muss man sich vorstellen, dass das Roxy für 6200 Zuschauer gebaut worden war, die 60 Waschräume, 212 Toiletten, 45 Duschgelegenheiten und eine Krankenstation aufwies. Der elektrische Energieverbrauch entsprach einer Stadt von 20’000 Einwohnern.
Das war Unterhaltung. – Eine Unterhaltung, die auch die Filmvorführungen einleitete. Wie nun der Tonfilm aufkam, begann der Film diese Art von Unterhaltung in die Leinwand selbst einzusaugen.
So zeigt die Anfangssequenz der FOOTLIGHT PARADE das Ende des Stummfilms. James Cagney sieht sich als Produzent von Bühnen Musicals arbeitslos geworden, da seine Auftraggeben überzeugt sind, dass die Talkies die Theatervorstellungen verdrängen werden. Schauen wir uns diese Sequenz an:


Berkeley dreht einen Film über die Agonie eines einst glanzvollen Theaters.
Was macht er selbst? Er beginnt seine Nummern im Theater, in den Roxys, Alahambras und wie sie alle heissen mögen. Man sieht die Zuschauer, das Orchester, den Dirigenten, und dann führt er die Nummer hinaus ins Filmstudio, wo kein Orchestergraben, keine Zuschauer mehr sind, – da sich der Bühnenraum zum Filmraum weitet.
Und auf der Leinwand erscheint jener Film, an dem das Theater teilweise wenigstens zerbrach.

Ich zeige Ihnen zum Abschluss der heutigen Stunde von drei Nummern die beiden letzten Nummern. Die Gruppe rast von Theater zu Theater, um mit ihren Kursrevuen die Geldgeber zu überzeugen.
Die erste Nummer "In the Honeymoon Hotel" ist auf einem Lied aufgebaut, und ist in erster Linie für die freizügige Darstellung  von Mann-Frau-Beziehungen aufschlussreich, denn 1933 war der Hays-Code bereits wirksam und verbot eigentlich, was Berkeley im Rahmen einer Revue noch darzustellen vermochte.
Am Ende der Nummer, mit der wir einsetzen, liegt das Paar im Bett und die Kamera schwenkt auf ein Baby-Gesicht.
Die zweite Nummer, mit der wir einsetzen, ist das erste grosse Wasserballett. Was von Berkeley bis anhin auf Podesten, Flächen und Treppen gefilmt worden war, wird als Formenspiel auf die Wasserfläche und unter Wasser verlegt.

Und die letzte Nummer steht wieder ganz im Aktualitätsbezug.

Cagney sucht ein Mädchen in Shanghai, als wäre es die Marlene Dietrich aus Sternbergs SHANGHAI EXPRESS. Das wäre das filmische Zitat. Doch es gibt noch einen anderen Hintergrund.
Im September 1931 marschierten die Japaner in die Mandschurei ein. Die Hoover-Administration antwortete mit der sogenannten Stimson Doktrin (7. Januar 1932), wonach Amerika nicht bereit sei, Verletzungen der Souveränität und Integrität Chinas zu anerkennen. Weiter unternahm Hoover nichts, weil er seine auf dem sogenannten "robusten Individualismus" aufgebaute Wirtschaftspolitik, – was ungefähr dem Reagan-Touch entspricht – nicht Lubitsch-Touch, sondern Reagan-Touch – nicht gefährden wollte.

Selbst als japanische Marinesoldaten 1932 aus der internationalen Zone in Shanghai – daneben gab es noch eine französische Zone – in chinesisches Gebiet einbrachen, unternahm Hoover nichts, ja er zwang sogar seinen Aussenminister Stimson zu einer öffentlichen Erklärung, wonach die Vereinigten Staaten keine Sanktionen gegen Japan verhängen würden.
In der Tanznummer marschieren nun gerade jene Marinesoldaten, die in Wirklichkeit nicht marschierten.
Und sie gruppieren sich zum Bild der amerikanischen Flagge. Und aus der Flagge wird das Gesicht Roosevelts, der 1933 amerikanischer Präsident wird und die Politik des New Deal eröffnet.
In der Literatur fand ich, dies seien ironische Zitate Berkeleys. Es gibt noch einen anderen Hinweis. 80% der Filmwelt Hollywoods war für Roosevelt, während die Zeitungen, allen voran der Hearst-Konzern gegen Roosevelt waren.

Wir stellen fest: Inmitten weiträumig inszenierter Verschwendung und Apotheosen instrumentalisierter Körperlichkeit tauchen Assoziationen an Krieg, Depression und aktuelle Ereignisse auf. In die eskapistischen Traumbilder mischen sich Gegenwartsbezüge. Nehmen wir noch einmal die dritte Nummer aus FOOTLIGHT PARADE (1933) auf, da James Cagney, das Lied von der Shanghai Lil singt. Hintergrund bilden unmittelbare Ereignisse: Sternbergs SHANGHAI EXPRESS (1932) als Kinowirklichkeit und zugleich die Ereignisse von Shanghai aus dem Jahre 1932, da die Hoover-Administration nicht gegen die japanische Aggressionen gegen China einschreitet.
Was wird daraus im Film?
An der Bar sitzen die Kinofiguren, als würde Hollywood sich im Kulissenshanghai treffen. Dann Opiumromantik und asiatische Verruchtheit: die weisse Frau in den Bordellen von Shanghai – Emanuelle-Fantasien der Dreissigerjahre. Aus der Kolonialromantik wächst das Militärballett der Marinesoldaten: Gewehrgriff und Parade als mechanisches Tanzritual. Marschkolonnen der Marinesoldaten ziehen durch das grosse Tor von Shanghai: militärische Körperornamente – nicht in Nürnberg, sondern in einem Paramount-Studio. Und zuletzt zieht Shanghai Lil als Marine-Soldat verkleidet, mit ihrem Geliebten von dannen. Man glaubt sich an MOROCCO (1930) erinnert, da Marlene Dietrich am Ende des Films ihre Stöckel-Schuhe auszieht und ihrem geliebten Legionär Gary Cooper in die Wüste folgt – penetrante Kolonialromantik, wie sie auch in anderen Filmen der Zeit üblich ist.

Doch nicht nur die Story löst sich im Happy End auf, sondern auch die Körper-Ornamentik. Die Marinesoldaten bilden mit ihren Körpern eine gewaltige amerikanische Flagge, leinwandfüllend. Sie wenden sich – und aus der amerikanischen Flagge wird das Bild Roosevelts, leinwandfüllend, und eine neue Formation bildend entsteht der Marine Adler, der trotzig nach aussen auf imaginäre vermeintliche Feinde – Bedrohung schiesst. Konkret ist es Japan. Findet hier eine Persiflage politischer Aktualität statt oder rollt einfach ein Unterhaltungsamerika über die Leinwand, für das jeder Stoff ein Grund zur Show ist?

Ich erlaube mir noch einen Nachtrag (und zwar zur Tanzszene "Shanghai Lil"): Er betrifft das Stichwort "Kolonialromantik". Sternbergs MOROCCO und Berkeleys "Shanghai-Lil" in FOOTLIGHT PARADE sind Teile jener Evasion, die sich auch in den Abenteuerfilmen Raum verschafft. Um das Klima dieser Zeit und das von Hollywood vermittelte Selbstverständnis der Dominanz des weissen Mannes zu umreissen, möchte ich einen Film beiziehen, der programmatische Züge aufweist: Tay Garnettes brillant gemachter Indochinafilm PRESTIGE (1932).
In Hollywood entsteht ein perfektes Saigon und ein ebenso perfekter Vietnam Dschungel mit Hula-Hula Mädchen. In diesen Kolonialtraum agiert ein französischer Offizier, der sich jedoch fern der Heimat, fern der Pariser Eleganz und seiner ebenso eleganten frivolen Pariserin fern, dem Trunk ergibt. Mit Guillotine im Garnisonshof und geschundenen Rebellen in Ketten im Keller schafft er sich Prestige für den weissen Mann – "Prestige for the white man". Im Gegensatz zu King Kong geht es nicht um Business, sondern um Ehre. Doch in der Hölle der Tropen heizt nicht nur der Whisky an, sondern die eigenen Soldaten beginnen zu meutern. Da taucht die ferne Frau auf und mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung vermag, wenn auch schwer verwundet mit einem klaren "Gardez-Vous" die Kolonialarmee wieder in den Seckel angesichts des Fahnenauszuges wieder zur Ehre zu verpflichten.
Aufschlussreich ist, dass im fernen Indochina, wo die bösen asiatischen Barbaren ihr diabolisches Unwesen treiben die weisse Frau von einem Senegalneger beschützt wird.
Dies im Gegensatz zu THE MASK OF FU MANCHU (Charles Brabin, 1932), da die Hierarchie des Rassismus dem "gelbem Teufel" oder asiatischen Barbar, der dank seiner Intelligenz überragenden menschlichen Bestie, die die Welt vernichten will, noch einen schwarzen Sklaven beigibt, währen Scotland Yard im Sinne der weissen Dominanz die Gefahr gelber Herrschaft beseitigt.

Literatur

Kracauer, Siegfried: «Girls und Krise» [1931]. In: Ders. (1990): Aufsätze 1927–1932 (= Schriften, Bd. 5/2), hg. von Inka Mülder-Bach, Frankfurt a. M., S.320–322.

Filmografie zu ganz oder in Ausschnitten gezeigten Filmen:

DER BLAUE ENGEL, Josef von Sternberg, Deutschland 1930, Focus Edition – DVD

GOLD DIGGERS OF 1933, Mervyn LeRoy / Busby Berkeley (Choreografie), USA 1933, © 2006 Turner Entertainment, Warner Bros. Entertainment – DVD

FOOTLIGHT PARADE, Lloyd Bacon / Busby Berkeley, USA 1933, © 2006 Turner Entertainment, Warner Bros. Entertainment – DVD

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