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Das Jahr 1934 brachte dem russischen Film in
verschiedener Beziehung eine Wende. Mit Igor Sawtschenkos DIE
ZIEHHARMONIKA und Grigori Alexandrows
LUSTIGE BURSCHEN wurde die Entwicklung eines russischen Musikfilms eingeleitet
und zugleich, wenn auch von der offiziellen Kritik bekämpft, kam der Unterhaltungsfilm
wieder in die russischen Kinos, insbesondere in Moskau und Leningrad.
Am Anfang des Jahres 1934 fand aber auch der 17. Parteitag statt, dessen Thema
nicht nur der zweite Fünfjahresplan zur Vollendung des Sozialismus war, sondern
auch die Frage aufwarf, mit welchen Kräften lässt sich die sozialistische
Gesellschaft verwirklichen. Während in der Revolutions- und Bürgerkriegszeit
die Vorstellung der revolutionären Masse als eines aktiven Kollektivs das
politische Bewusstsein prägte, wird nun über den Begriff des "Kaders"
ein Führungsprinzip entworfen, das als Basis eine erneute Individualisierung
hat. Die besten Arbeiter sollten als positive Helden Vorbild werden für einen
Aufbau, der jegliches kapitalistische Erbe überwindet.
Greifbarer Ausdruck dieser neuen Sicht wurden die 1935 einsetzende
Stachanow-Bewegung, genannt nach dem Häuer Alexej
Stachanow, der statt der verlangten 7 Tonnen Kohle 102 Tonnen förderte.
Produktionsrekorde waren das sichtbare Zeichen individueller Arbeitsleistungen. Dass der im Herbst 1934 tagende Schriftstellerkongress sich dieser veränderten
Sachlage annehmen musste, ergibt sich aus der engen Verbindung zwischen der politischen
Zielsetzung und der Forderung nach Bewusstseinsveränderung. Der Schriftsteller
hat als "Ingenieur der menschlichen Seele" (so Stalin) mit seiner
Arbeit die politische Zielsetzung zu unterstützen.
Am
Schriftsteller Kongress formulierte Schdanow die Zielsetzung des sozialistischen
Realismus: "Die Sowjetliteratur muss verstehen, unsere Helden zu gestalten, sie muss
verstehen, einen Blick in unsere Zukunft zu werfen. Das wird keine Utopie sein,
denn unsere Zukunft wird durch planmässig bewusste Arbeit schon heute
vorbereitet." Die Helden dieser neuen, die Zukunft antizipierenden Literatur sollten sein:
"Arbeiter und Arbeiterinnen, Kollektivbauern und Kollektivbäuerinnen,
Parteifunktionäre, Wirtschaftler, Ingenieure, Komsomolzen und Pioniere",
welche über die aktive Arbeit ein neues Menschenbild schaffen.
So ist es denn auch neben dem Schriftstellerkongress die Unionstagung der
Stachanow-Arbeiter, welche von den russischen Filmschaffenden einen neuen Film
fordern, der dem neuen Bewusstsein Rechnung tragen sollte. Sie wollten sich gerne im Film verewigt sehen.
Nach Schdanow heisst sozialistischer
Realismus: mit beiden Beinen auf dem Boden des realen Lebens stehen. – André
Malraux interpretiert 1936 in einem Interview mit einem polnischen
Journalisten aus der freundlichen Distanz eines am dem Kommunismus zugetanen
Schriftstellers, der in der gleichen Zeit aktiv am spanischen Bürgerkrieg
teilnahm, den sozialistischen Realismus als Teil einer romantischen
Wirklichkeit: "Wenn heute in der Sowjetunion der sozialistische Realismus
vorherrscht, so ist das darin begründet, dass dort eine sehr romantische
Wirklichkeit existiert. Dieser Realismus ist die wahre Romantik, und der
Fünfjahresplan ist durchgedrungen von einem malerischen Heroismus."
So hatte denn der neue Held durchaus heroische Züge zu tragen. Ob er der jüngst
vergangenen Geschichte oder dem Alltag angehört, er hat einen Teil des Volkes
zu sein und zwar als individuell fassbare Gestalt und zugleich von jener
allgemeinen Gültigkeit, die die Wirklichkeit mit einer romantischen Aura
verklärt. Der in seiner Individualität erfasste Held sollte in der heroischen
Gestaltung, zum allgemeinen Mythos geworden, Vorbild für jeden einzelnen sein.
Dia: Zunächst zwei Dias aus dem Film OKRAINA (Vorstadt) von Boris Barnet: einem Film, der sich aus vielen Einzelbeobachtungen zusammensetzt, ein filmischer Tschechow, eine Montage romanhafter Elemente. Und dem gegenüber zwei Bilder aus TSCHAPAJEW der Gebrüder Wassiljew. Damit wende ich mich jenem Film zu, der in seiner Heldendarstellung zum Vorbild des sozialistischen Realismus werden sollte und zugleich ein Film ist, der über die Dogmen hinausreicht.
TSCHAPAJEW von Georgi und Sergej Wassiljew,
genannt die "Gebrüder Wassiljew", obwohl sie keiner Weise miteinander
verwandt sind. Der Film entstand 1934 und erzählt die Geschichte des unbändigen Volkshelden Tschapajew, der
statt mit seiner Reiterbande Bandit zu werden und auf privater Basis eine
Umverteilung der Güter vorzunehmen, ein Held der Revolution wurde. Da er jedoch
mit den wilden, auch äusserlich unordentlichen Zügen eines anarchischen Bandenführers
versehen, mit eigener Moral und eigenen strategischen und
gesellschaftspolitischen Vorstellungen nicht den Disziplinanforderungen
entspricht, welche die Partei für den Kampf gegen die Weissen als notwendig erachtet,
wird diesem Urrussen ein politischer Kommissar Furmanow
beigegeben. Er hat den Auftrag, den wilden chaotischen, jedoch erfolgreichen
Krieger zu bändigen, zu domestizieren, für die Ordnung der Partei und für die legale rote Armee zu gewinnen.
Der Film lebt von dieser vitalen Auseinandersetzung zwischen dem Unbändigen,
ungebildeten und auch selbstherrlichen Tschapejew, der eigenhändig die Verräter
niederknallt und auf seine Weise, recht unorthodox, Ordnung schafft, und dem
politischen Kommissar, der nicht ohne Verständnis für das Folkloristische ist, aber
dennoch Tschapajew um seinen Freiheits-Helden-Look, um das flatternde
Bauernhemd bringen und ihm die saubere ordentliche Uniform der roten Armee
anziehen will.
Die Auseinandersetzung zwischen dem anarchischen Tschapajew und dem disziplinierten Furmanow geht schliesslich in der gegenseitigen Anerkennung und Freundschaft der beiden Männer auf. Für den russischen Zuschauer, dessen Sympathie wohl eher auf der Seite des Volkshelden stand, wird die Versöhnung grosser Gegensätze als möglich und wünschenswert dargestellt. Die Integration des wilden, chaotischen Volkskämpfers in die ordentliche Armee der kommunistischen Partei ist offensichtlich nicht ein Ding der Unmöglichkeit. Doch am Ende des Films geht der Held in der Legende auf. Von den Kugeln der Weissen gejagt, schwimmt er, schwer verletzt durch den Ural. Die spitzen Einschläge der Schüsse umkreisen ihn immer mehr, drohen ihn einzuholen, doch der Tod des Helden bleibt ausgeklammert. Er taucht im grossen russischen Strom ein, er taucht gleichsam im aus dem Bild weg, als lebte er in der Weite der russischen Landschaft weiter: der individuelle Held geht auf im Mythos, sodass es selbstverständlich erscheint, dass in den letzten Einstellungen des Films, am Ufer des Urals, die weissen Angreifer mit grossen Sandkaskaden weggesprengt werden. Im Räume bleibt das letzte Wort, der letzte Aufruf des Films: "Vorwärts".
In diesen grossen Rahmen gestellt, ist der Film ungemein reich an Details, an
inneren und äusseren Vorgängen und plastischen Situationen, die auch des Witzes
und ironischer Selbstdarstellung nicht entbehren. Vor dem Hause, in dem Tschapajew Napoleon gleich über der Karte brütet,
lärmt seine Bande ungehemmt. Da erscheint Petka, sein "Adjutant", und
da er sich gegen den Lärm nicht durchzusetzen vermag, schiesst er in die Luft
und schreit: "Ruhe! Tschapajew denkt." – Dazu eine politische
Anmerkung.
Dieses geflügelte Wort wurde in den Ostblockstaaten zu einer bösen Anspielung
auf den dummen, ungebildeten tolpatschigen Russen. Im Film der Gebrüder Wassiljew
heisst die Aussage jedoch, dass auch ein Tschapajew zu lernen vermag: Karten zu
lesen und zu wissen, wer Alexander der Grosse sei. Kennzeichen des Volkshelden
ist jedoch ein nicht zu trübendes Selbstbewusstsein. So wenn Tschapejev einem
am Arm verletzten stellvertretenden Kommandanten anhand von Kartoffel, Äpfeln
und einer Tabakpfeife seine strategischen und taktischen Ideen entwickelt, die
darauf hinaus laufen, dass ein Kommandant sich nie und nimmer zu gefährden, im
Kampfe stets hinten zu bleiben habe, damit er den Überblick über das Geschehen
nicht verliere, aber wenn die Eroberung gelingt, als erster, eben als
Kommandant, in die Stadt einzuziehen habe.
Da spielt sich, folgender Dialog ab:
Auch in seiner Selbstüberschätzung bleibt
Tschapajew ein Volksheld, ein Erzähler seiner eigenen Legende. So wenn sein
treuer Begleiter Petka ihm zuschaut, wie er die Karte studiert und sagt:
"Ich schaue dich an und begreife dich nicht. Du bist wie Napoleon "
Und Tschapajew antwortet: "Viel schlimmer. Für Napoleon war es leichter.
Da gab es keine Maschinengewehre und Flugzeuge."
"Sie haben mir auch ein Flugzeug geschickt. Es braucht zuviel Benzin."
Und Petka forscht weiter:
Und vielleicht noch eine Szene, die für den Film der Gebrüder Wassiljew bezeichnend ist. Die Weissen greifen an, und Anna, die Weberin, wehrt im Alleingang mit dem Maschinengewehr den Angriff ab, indem sie abzuwarten wagte, bis der Feind ganz nahe war. Im Moment höchster Gefahr taucht dann Tschapajew mit seinen Reitern auf und entscheidet die Schlacht.
Wie die Gebrüder Wassiljew ihren Helden sahen, geht aus ihren Erinnerungen hervor:
Wir mussten einen sowjetischen Helden schaffen, ohne uns an die üblichen
Vorstellungen von einem Helden eines Kriegsfilms zu halten, wir mussten eine
Lösung finden, die gewährleistete, dass der Zuschauer an die reale Existenzmöglichkeit
eines solchen Helden glaubte. Wenn man einen Helden schafft, der mit
irgendwelchen übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet ist, also einen
Helden "auf Kothumen", dann kann man zu hören bekommen: "Ja, das
ist wirklich ein Held, aber ich werde nie so sein können wie er." Ein
solcher Held findet niemals Anklang. Man muss den Zuschauer zwingen, an die
Realität eines Helden zu glauben, an die Gestalt auf der Leinwand, man muss den
Zuschauer dazu bringen, dass er diese Gestalt liebgewinnt und sie nachahmen
möchte, das ist ein überaus wesentliches und wichtiges Geheimnis. I. Sokolow, Teil I (1930—1934), Goskinoisdat, Moskau 1946, S. 85 |
TSCHAPAJEW wurde das Vorbild kommender Filme des sozialistischen Realismus. Doch es gab noch andere Wege, die ausserhalb von den Moskauer Studios gegangen wurden. 1935, als der Kampf um Inhalt und Form des sozialistischen Realismus härter wurde und die filmische Prosa, d. h. der Film der Geschichtenerzähler, sich gegen die filmische Poesie, d. h. den Film der Montage und des Vertrauens in die Ausstrahlung des Bildes, durchzusetzen vermochte, kam AEROGRAD des grossen ukrainischen Stummfilmers Alexander Dowschenko in die russischen Kinos.
Das Thema des Films ist der Bau einer Stadt am Pazifik, die in Wirklichkeit gar nicht existiert. Denn Dowschenko wollte nicht ein Illustrator vergangener Taten sein, sondern der Herold neuer Unternehmungen und die Losung des Aufbaus verkünden. Dabei entstand eine filmische Oper. Und so entstand ein Film, dessen Held eine Tat ist: die Überwindung der Taiga, der grossen Wälder und den Aufbau einer Stadt gegen den japanischen Feind. Dowschenkos Film ist eine grandiose Bildoper, die sich in der Landschaftskulisse der sibirischen Taiga abspielt.
Auf der einen Seite steht der junge Pilot, der mit seinem Flugzeug über den
unendlichen Wäldern und vor gewaltigen Wolken, tanzend, gleitend, schwebend die
unendliche Waldlandschaft erforscht und niedersteigt, wenn seine Frau ein Kind
gebärt. Er verkörpert mit seinem kleinen, alles überwindenden Flugzeug das neue
Zeitalter der Technik, den Aufbau einer Zukunft, die der technischen Jugend
gehört. Ihm zur Seite steht der Tigertöter, der alte grollende krachende Revolutionskämpfer,
der Mann aus dem Volk, der die Taiga kennt, nach den Tieren stöbert, dabei die
Klassenfeinde, die überall den Sozialismus bedrohen, in den Wäldern versteckt auffindet:
die Überreste der zaristischen Zeit, Kulaken, die in die Taiga zurückgezogen
auf ihre Rückkehr hoffen. Die grosse Waldlandschaft ist das Hindernis auf dem
Weg zur Gründung der Stadt im Osten: Aerograd. In diesem Wald findet sich auch
der Japaner, der wie ein Samurai, böse, wild gespenstisch, durch die Wälder
pirscht und seine Verbündeten sucht: die letzten religiösen Sektierer,
religiöse Waldbrüder, reaktionäre Bauern, die von der Religion verführt, nichts
vom Bau einer neuen Stadt wissen wollen und als Abgewanderte in Sibirien im
Untergrund leben.
Neben dem Tigertöter, der als urtümlicher Volksheld das freie russische Volk
verkörpert und dem Piloten mit Flugbrille und Lederjacke, der das moderne
technische Russland vermittelt, tauchen auch mythische Figuren auf –
revolutionäre Märchengestalten wie der Skiläufer, der mit Schneeschuhen weit
ausholend, dann wie eine Gazelle springend, mit einem Dreispitz in der Hand durch
die russischen Landschaften – 80 Sonnen lang zur im Osten erstehenden Stadt
eilt, um am Aufbau mitzuwirken und an der neuen Universität zu studieren.
Und in Aerograd treffen sie alle ein. Die Taiga ist überwunden, diese undurchdringliche, dschungelartige Landschaft, die Waldlandschaft, mit dem Meer von Bäumen, wo sich die Feinde der Revolution verstecken. Darüber schwebt jedoch immer wieder das kleine Flugzeug des Piloten, der die Weite des Himmels durchmisst. Am Ende des Films tauchen in nie enden wollenden Wellen Fliegergeschwader am Himmel auf und besingen die neue Stadt.
Die rote Armee ist endlich da und macht die Erde frei für den Aufbau. Dowschenkos Propagandafilm wird zu einer opernhaften Apotheose auf eine Zukunft, die es zu schaffen gilt. Die Helden sind da. Was es braucht, ist die Aufgabe für die Helden. Bei Dowschenko schafft die Sache – der Aufbau einer Stadt – die romantische Aura.
In [Sergei] Gerassimows 1938 entstandenem Film KOMSOMOLSK wird – im Gegensatz zu Dowschenkos poetischem Traum – die realistisch erzählte Filmchronik einer Industriestadt am Amur entworfen, die sich im realen Aufbau befindet und die gegen die Feinde der Revolution zu verteidigen sei, vom feindlichen Ausland unterstützt werden. Die Diversion, d. h. die Bedrohung durch Verräter der konterrevolutionären Kräfte, durch Saboteure und ausländischen Terroristen war das Lieblingsthema kurz vor Ausbruch des Krieges geworden (1939: von 20 Filmen 16). Wie in AEROGRAD endet auch hier der Film mit einer Apotheose auf die rote Armee. Zugleich gleitet aus der Werft das erste Schiff, auf den Namen Komsomolsk getauft, ins Meer, die Ahnung imperialer Träume vorwegnehmend.
Auch Dowschenko drehte einen Film über einen Volkshelden. Sein 1939, knapp vor Kriegsausbruch noch fertiggestellter Film STSCHORS erzählt die Geschichte einer Wanderung durch die Ukraine im Jahr 1919. In Dowschenkos Volksrevolutionär Boschenko ist jedoch Tschapajev und Furmanov in gleicher Weise enthalten. Boschenko trägt bunt farbig das anarchistische Element in sich und tritt dennoch für Veränderung ein. Wenn es in AEROGRAD um den Aufbau einer futuristischen Fliegerstadt geht, gilt es in STSCHORS die ukrainische Landschaft sozial und national zu befreien. Bezeichnen für Dowschenkos Film ist die Szene, da in einer Kampfpause – der Film spielt im Jahre 1919 – davon träumen, wie es nach dem Kriege aussehen wird: Sie träumen von blühenden Gärten. Ihr Vaterland wird in einen einzigen blühenden Garten verwandelt.
Wiederum
eine anders geartete Heldenfigur findet sich in Jefin Dsigans Film WIR AUS
KRONSTADT (oder die MATROSEN AUS KRONSTADT) 1936. Da ist der durchaus
nachvollziehbare Volksheld ein Abenteurer und ein Raufbold, ein richtiger
russischer Filou, dem nicht zu trauen ist, und der schliesslich, weil man ihm
vertraut, über sich hinaus wächst und seine Bauernschläue in den Dienst der
Revolution stellt: Artjom Balaschow wirkt wie eine Cagney-Figur zu Beginn der Dreissigerjahre,
nervig, zwielichtig und aggressiv. Er findet kein Gegenüber, das ihn besänftigt, sondern seine Wildheit
bleibt, wird jedoch besseren Zwecken zugeführt.
Eine Bekehrungsgeschichte, umgeben von permanenten Kriegshandlungen, die so sehr
filmischer und ideologischer Selbstzweck werden, dass man schliesslich froh
ist, Artjom Balaschow endlich revolutionär geläutert zu wissen.
Auffallend an Dsigans Film ist, dass er ungemein subtil, poetisch, geradezu
verzaubernd beginnt und sich dann im ewig wiederholenden Ritual der Kämpfe
auflöst, als wäre es ein amerikanischer Film über Indianerkriege.
Die visuell-akustischen Rituale des
Kampfes, in denen sich der Held verändert, erscheinen wie
Leinwandzeichen patriotischer Unterhaltung.
Die enge Verbindung von Heldengestalt und ihrer Fixierung im politischen Kampf findet sich in einer Figur, die von Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg über drei Filme hingezogen wird und trotz der realen Bindung an die Gegenwartsgeschichte zu einem typischen Kinohelden des sozialistischen Realismus wurde. Die Maxim-Trilogie der beiden Regisseure, die durch expressive Stummfilme berühmt geworden waren, entstand zwischen 1935 und 1939.
Fjodor Maxim ist der kleine pfiffige Held, der als quicklebendiger James Bond seiner Partei, trotz Widerständen seine Aufgaben mit Bravour löst. Wenn er im zweiten Teil der Trilogie stirbt, verschwindet prompt die Leiche, damit der nicht zu schlagende Held im geeigneten Moment wieder auferstehen kann. Der Film WOSWRASCHTSCHENJE MAXIMA/MAXIMS RÜCKKEHR ist verfilmte Biografie, doch das prosaische Kino bemächtigt sich der Gestalt und macht aus ihr eine Erzählfigur, die in ihrer aufstellenden Direktheit für den Zuschauer nachahmungswert werden soll. Maxim ist der fröhliche Held, der optimistische Held, der unbekümmert kluge Held, der Agitator aus dem Volk, der für die Partei arbeitet.
Ich zeige Ihnen zwei Ausschnitte:
Im zweiten Teil der Trilogie soll ein Rüstungsgeschäft durch einen Streik verhindert
werden. Maxim bekommt von der Partei den Auftrag, als Agitator die Sache in die Hand zu
nehmen. So taucht er als Sänger in einem Lokal auf, in welchem das politisch heterogene
Streikkomitee tagt. Listig setzt er sich gegen die karikaturistisch gezeichneten
Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre durch, die selbstverständlich Marx und
Engels nicht richtig zu interpretieren vermögen. Dann nimmt er den Kampf mit
einem bürgerlichen Bürokraten – dem Verräter – auf, der für die Rüstungsbestellung
verantwortlich ist. Ihn, den König des Billards, besiegt Maxim am Billardtisch: Gunfight am Billardtisch. Die
Idee könnte von [W. C.] Fields stammen. Die filmische Inszenierung ist stark dem Theater verpflichtet. Die Kamera
schaut den Dialogen, Situationen und Handlungen zu.
Ich setze mit dem Beispiel dort ein, da Maxim von den Partei den Auftrag erhält,
als Agitator den Streik zu organisieren. Was er zunächst braucht, ist eine Gitarre. Der Film selbst lebt stark von einer Musik, die dem an sich filmisch langweiligem
Bild eine emotionelle Direktheit verleiht.
Als zweites Beispiel – gleichsam zur Ergänzung – die Schlussszene des Films, in der Maxim eine neue Aufgabe bekommt: den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Krieg zu verwandeln.
Eine grosse Rolle im russischen Film beginnen nach 1935 die historischen Helden zu spielen. 1934 wird an den Universitäten das Fach Geschichte wieder eingeführt. Pokrowskis bis anhin gültige These mechanistischer Geschichtsbetrachtung, wonach nur das Volk die Geschichte mache und die individuelle historische Persönlichkeit keine Rolle spiele, wird einer Kritik unterzogen und besonders von Stalin abgelehnt. Und so kommt 1937 der erste Historienfilm in die Kinos: PETER I. von Wladimir Petrow. Pudowkin beendet 1941 knapp vor dem Überfall des deutschen Reiches auf Russland seinen Film SUWOROW, von dem die Prawda schreibt: "Das ist ein überaus schöner Heldenfilm über namhafte, furchtlose Menschen und heroische Taten der Söhne des grossen russischen Volkes."
Auch Eisensteins ALEXANDER NEWSKI, bereits 1938 entstanden, gehört in den Umkreis der Historienfilme, doch Eisenstein setzt Geschichte in abstrakte Bildstrukturen von Hell- und Dunkelwerten und in visuelle Bewegungsgeometrie um. Die Form ballt, unterstützt von der Musik Prokofjews, den Inhalt, der gegen den drohenden Faschismus gerichtet war, zu einer Selbstdarstellung filmischer Gestaltung.
Auch die Revolutionsgeschichte verliert die von der Masse getragene Wucht und wird zur Geschichte historischer Persönlichkeiten: So versucht Michail Romm in seiner 1937 uraufgeführten Lenin Verfilmung LENIN IM OKTOBER den noch nahe zur Gegenwart stehenden Helden in Haltung, Gestik, Sprache mit letzter Akribie nachzuzeichnen. Lenin erscheint in Romms Film in immer wieder anderer Darstellung, gleichsam anders beleuchtet, je nachdem wer über Lenin spricht.
Faszinierend ist, wie eingebettet in die Aussagen über Lenin, wie und was er sei und wie er aussehe, wie er zu beschreiben und woran er zu erkennen sei, die Gestalt selbst gezeichnet wird. Ich zeige Ihnen die Anfangssequenz, die konsequent die Figur aufbaut, sie immer mit neuen Zeichen und Strukturen versieht, angefangen bei Lenins Fahrt auf der Lokomotive nach Peterburg, da man ihn nur von hinten sieht, bis zur Darstellung in den verschiedensten Situationen, die Lenins Handlungsweise bestimmen. Die Darstellung ist von solch klarer Präzision, dass sie fast etwas Karikierendes erhält. Die Fassung, die ich Ihnen vorlege, ist die von Romm 1956 umgeschnittene Fassung, nämlich Stalin ist aus dem Film buchstäblich herausgeschnitten, während die Fassung von 1937 nach dem Schema läuft: Das Telefon läutet. Lenin nimmt den Hörer ab, lauscht und sagt: "Einen Moment bitte, da muss ich zuerst Stalin fragen."
Und jetzt noch die Endsequenz: die Erstürmung des Winterpalais, wobei Lenin gleichsam ausgeklammert erscheint und erst auftritt, als alles vorbei ist. Er ist der Mann, der von hinten, oder von oben, gottgleich alles gelenkt hat. Wie sagt Tschapajew in seiner an Kartoffeln vordemonstrierten, taktischen Lehre: der Kommandant muss stets, wenn es gefährlich wird, hinten stehen, damit er, wenn die Stadt eingenommen wird, als erster durch das Tor reitet.