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Damit wir gleich wieder in der Thematik sind, zeige ich Ihnen zu Beginn der Stunde einen Ausschnitt aus Karl Ritters STUKAS. Ritter hat mit voller Überzeugung und vollem Aufwand alles gedreht, was dem Regime gefallen könnte. 1941 war es unter anderem eine Kriegsoperette, der Himmel voller Flüge und Gesang. Am Boden erlöst Wagner die Helden: denn am Ende des Films gesundet ein Verletzter, der depressiv in einem beyreuther Krankenhaus liegt, an Wagners SIEGFRIED und kehrt zu seiner Staffel zurück, um wieder am Himmel, hoch über der Erde, neuen Zielen zufliegend, zusammen mit Carl Raddatz als Hauptmann und O. E. Hasse die Stukas und die Vernichtung Englands zu besingen. Damit Sie den Filmtext des Stuka-Balletts verstehen und mitbekommen, wie unbeschwert und heiter der Luftkrieg ist, wie fröhlich die Kameraden sind und es nur eine Frage der Zeit ist, dass England von den Stukas besiegt am Boden liegt, lege ich Ihnen den Text vor:
«Wir sind die schwarzen Husaren der
Luft, Die Stukas, die Stukas, die Stukas. Immer bereit, wenn der Einsatz ruft, Die Stukas, die Stukas, die Stukas. Wir stürzen vom Himmel und schlagen zu. Wir fürchten die Hölle nicht und geben nicht Ruh', Bis endlich der Feind am Boden liegt, Bis England, bis England, bis England besiegt, Die Stukas, die Stukas, die Stukas!» (Worte von Geno Ohlischläger Musik von Herbert Windt) |
Wie im französischen und amerikanischen Film der Zeit spielt auch im deutschen Film die Musik eine grosse Rolle, und zwar nicht nur als begleitende Kinomusik, sondern als kriegerischer, militärischer und sentimentaler Emotionsträger, sodass die Musik aufs engste mit der Tendenz verwächst: Schlager als Gassenhauer des Militarismus und Marschmusik haben Herz und Willen zu verbinden.
Das Fluggeschwader als Flugzeugschwarm im
Himmel findet sich 1934 in Alexander
Dovjenkos Film AEROGRAD, da zur Erstehung der Pionierstadt im Osten die
Kampfflugzeuge aus der ganzen Sowjetunion wie ein Himmelsteppich anfliegen. Man
fühlt sich wieder an Goebbels Vorliebe für russische Revolutionsfilme erinnert.
Der Renomierregisseur des Regimes war Veit Harlan, der neben Josef Bakys
MÜNCHHAUSEN (1943) die teuersten und aufwendigsten Filme drehen durfte. Veit Harlan verstand es, propagandistische
Anliegen in eine perfekte filmische Form verpackt in Verbindung mit künstlerischem Anspruch und
Unterhaltungswert äusserst konsumierbar zu machen. Paradebeispiel ist sein JUD SÜSS.
Vertrackter scheint mir Wolfgang Liebeneiners ICH KLAGE AN zu sein, ein Film,
von dem es heisst, dass das Regime mit Hilfe dieses Films die öffentliche
Meinung im Hinblick auf ein mögliches Euthanasiegesetz testen wollte. Zwischen 1939 und 1941 war ein Euthanasieprogramm zur Tötung von
"lebensunwertem Leben" in Gang gebracht worden, das aber
offensichtlich in der Realisierung auf Widerstände bei der Bevölkerung stiess.
Dieses Programm wurde 1941 von Hitler zunächst einmal abgeblockt, was möglich war, weil nun das Programm zur systematischen Vernichtung der Juden
eingeleitet war, ein Programm, das die Möglichkeit einschloss, auch noch
weitere Vernichtungsaktionen nebenbei mitlaufen zu lassen.
Man spricht von den Naziregisseuren Gustav
Ucicky, Karl Ritter, Veit Harlan, doch meines Erachtens ist die wirklich schäbige,
miese Figur Wolfgang Liebeneiner, ein Faschist von Gottes Gnaden, der es
nach dem Krieg zum angesehenen Regisseur am hiesigen Opernhaus brachte –
mieser, schäbiger, weil er viel raffinierter, hinterhältiger, ein guter Diener
seines Herrn war, während die anderen die durchschaubaren, gut bezahlten
Publikums-Relationsträger des Regimes waren.
Liebeneiners berühmtester Propagandafilm ist sein Euthanasiefilm – wie bereits
gesagt – mit dem bezeichnenden Titel ICH KLAGE AN.
Während es im nationalsozialistischen Tötungsprogramm um die Vernichtung von
lebensunwertem Leben ging, wird in Liebeneiners Film TOD AUF VERLANGEN zur
Diskussion gestellt. Es findet die von Goebbels gewünschte Verschleierung
statt.
Still, zurückhaltend, im Stile eines gepflegten Kammerspielfilms wird, gespielt
von grossen Schaupielern, der jungen Hatheyer, dem Faust-Darsteller Paul
Hartmann und dem späteren Nathan-Darsteller Mathias Wieman, die Geschichte von
einer jungen Frau erzählt, die an Multipler Sklerose erkrankt von ihrem Arzt
(Mathias Wiemann) eine tödliche Spritze verlangt. Da der Arzt dies verweigert,
nimmt ihr Gatte, Professor Thomas Heyt, es aus Liebe auf sich, die Frau zu töten,
während der Arzt am Flügel – so ist es ihr Wunsch – milde spielt.
Der Professor wird der vorsätzlichen Tötung angeklagt. Sein Freund, der Arzt, wird durch
die schreckliche Erkrankung eines Kindes, das er mit seiner ärztlichen Kunst am Leben erhalten hat, das aber kein lebenswertes Leben mehr ist, ebenfalls zur
Euthanasie bekehrt. So verteidigt er den Professor, der aus Liebe seine Frau
getötet hat. Das "ich klage an" gilt "überwundenen
Anschauungen und überholten Gesetzen." "Ich klage an" ist der gleiche Satz,
den Emil Zola in seinem berühmten Brief "J'accuse" in der Zeitschrift
"L'Aurore" 1898 gebrauchte, um den des Landesverrates angeklagten
Juden Dreyfuss zu rehabilitieren.
Ich zeige Ihnen das wundervolle Sterben der Frau. Nachdem der Gatte die tödliche Dosis verabreicht hat, spielt sich folgende Liebesszene ab.
Der Förster: "Meine Herren, wenn wir ein Tier
angeschossen haben und es quält sich noch rum, dann geben wir ihm eine
Gnadenkugel, und wer das nicht tut, der ist ein roher Kerl und kein ehrlicher
Weidmann".
Auch eine Möglichkeit des Euthanasieverständnisses!
Äusserst aufschlussreich sind auch die
Prozessszenen, die das letzte Drittel des Films ausmachen. Ich zeige Ihnen
gleich die Beratung der Laienrichter untereinander. Jede Figur ist klar
umrissen und einer bestimmten Geisteshaltung zugeordnet. Der Studienrat, der
Mediziner, der Bauer, der Major, der Förster. Sie alle sprechen ihre prägnanten
Sätze.
Die Zielsetzung der dialektisch angelegten Diskussion ist, den Zuschauer davon
zu überzeugen, dass der Staat die Verantwortung für die Tötung zu übernehmen
habe. Auch hier ist wiederum jene Gestalt aufschlussreich, die das Ideengut
nationalsozialistischer Ideologie verkörpert. In scharfer klarer Diktion, glatzköpfig,
eine Intelligenzbestie – in heutiger Rezeption von einer unerträglichen Kälte –
steht er auf der Seite jenes Staates, den es im Film noch zu schaffen gilt, in
Wirklichkeit bereits existiert, ihn aber noch verstandesmässig zu untermauern,
zu rechtfertigen gilt.
Zu töten hat der Staat. Für diesen Staat
gilt es auch zu sterben. All die Opfer- und Sterbemythen, die das Schrifttum
des Ersten Weltkriegs auszeichneten, schienen voll in die Filme
nationalsozialistischer Zeit integriert. Es wird viel gestorben in diesen
Filmen. Dies steht im Gegensatz zu den faschistischen Filmen Italiens, wie wir
in der zweiten Stunde noch sehen werden. In den italienischen Filmen ist
es wichtiger davonzukommen, zu überleben, gerettet zu werden, als den Heldentod zu
erleben.
"Darum erscheint uns, die wir vom Militarismus erfüllt sind, der Krieg selbst
als ein Heiliges, das Heiligste auf Erden".
"Im Heldentod findet die
heldische Lebensauffassung ihre höchste Weihe".
Diese Sätze stammen nicht
aus einem deutschen Film der Dreissigerjahre, sondern finden sich in einem 1915
erschienen Buch "Händler und Helden" des berühmten deutschen Soziologen
Werner Sombart, der als Marxist begonnen hatte und zum Nationalisten wurde.
Im deutschen Film heisst es dann: "Für etwas sterben – den Tod wünsch ich
mir", so gesprochen von Hans Albers in Ucickys 1933 entstandenem Film FLÜCHTLINGE.
Meine Untersuchung über den deutschen Film der nationalsozialistischen Zeit will Strukturen aufzeigen, Gesten nachweisen, Attitüden umschreiben, die einem filmischen Topos entsprechen und je nach Rezeptionssituation identifikationskräftig oder absurd, grotesk, visuell-akustische Karikatur sind. Filme kennen Helden, das hat sich bis heute nicht verändert. Dem Opfer- und Sterbekult entspricht im deutschen Film der Heldenkult.
In dem bereits zitierten Film FLÜCHTLINGE
von Ucicky (1933) spielt Hans Albers, der in seiner Curd-Jürgens-Arier-Attitüde
sich selbst zum nationalsozialistischen Denkmal macht, einen Offizier in
fremden Diensten, der wegen der sozialdemokratischen Bedrohung zur Zeit der
Weimarer Republik seine Heimat verlassen hat und in schmucker Uniform auch
ausserhalb Deutschlands, auch wenn er über sein dreckiges Vaterland schnödet,
den Wolgadeutschen über wacklige Eisenbahnschienen zur Heimkehrt ins Reich
verhilft.
Ein kleiner Ausschnitt aus diesem Film umreisst das immer wieder zu
vermittelnde Bild: Inmitten von abgedackelten Wolgadeutschen steht er in
Heldenpose, die Kamera schaut ihn von unten an. Nur eine Frau hat Verständnis
für die Übermenschhaltung.
Acht Jahre später spielt Hans Albers in
Herbert Selpins CARL PETERS (1941), in
Geste und Attitüde ungealtert, das Vorbild eines deutschen Kolonialisten.
Hier hat sich der Held nicht nur in Afrika gegen die feindlichen Engländer
durchzusetzen, sondern ebenso sehr, im Reichstag zur Rechenschaft gezogen,
gegen Juden und Sozialdemokraten.
Deutschland ist im 15. Jahrhundert leer ausgegangen. Deutschland braucht Kolonien.
Die Rede des Reichskommissars, 1890 gehalten, mutet wie eine Grundsatzerklärung
der nationalsozialistischen Expansionspolitik 1941 an. Interessant ist, wie
oppositionelle Argumente formuliert werden, z. B. Deutschland habe sein moralisches
Ansehen in der Welt verloren.
Im Film kommt eine demokratische Opposition zur Darstellung – eine Opposition, die
es in der Gegenwart nicht mehr gibt. Zum Glück, sollte der Kinogänger sich sagen,
sonst müsste sich Hitler immer noch gegen Sozialdemokraten und Juden durchsetzen.
1941 scheint das Regime sich seiner Sache sehr sicher gewesen zu sein. Auch
wenn die oppositionellen Redner in Maske und Gestik ihre linke und jüdische
Herkunft verraten, fallen in Selpins Film – trotz allem – in einem demokratischen
Darstellungsraum – Parlament – oppositionelle Worte, die 1941 kaum jemand im
Hinblick auf die Aktualität auszusprechen gewagt haben dürfte.
Attitüden und Gesten sind zu umschreiben. Achten Sie, wie Albers den deutschen
Helden spielt, wie seine Hände an seinem Körper auf der Uniform aufliegen,
Gesten vollkommener Selbstsicherheit, Unantastbarkeit, auch wenn das
parlamentarische Unwetter tobt. Im Spielgestus, in der Körperlichkeit wird der
gleich Pathos wirksam, wie er sich auch in der bildenden Kunst niederschlägt.
Zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
1935 gab die Wochenschau eine freudig erregte Nummer heraus. Endlich war es
wieder soweit. Im Beispiel, das wir gleich sehen werden, werden die Heldengestalten
in Herrenposen als Führungsgestalten innerhalb der lauten, chaotischen Menge
herausprofiliert. Der grosse Held, der alles Überragende, ist eine auf dem
Dorfplatz stehende, zur Heldenpose stilisierte Plastik. Die bildende Kunst
strafft den Heldengestus zu einem allgemeinverständlichen, visuellen Zeichen.
Helden gehören zur Kinolandschaft. Der Held ist stets erkennbar, doch je nach
Zeit, Land und geschichtlicher Situation setzen sich seine Attribute als
sichtbare Zeichen der Zeit anders zusammen.
Die nationalsozialistische Ideologie geht in Bild und Sprache durchaus filmisch auf. Hitler selbst durfte jedoch nicht im Film dargestellt werden. Er wollte sich selbst sein grösster Schauspieler sein. Deshalb hatte der Dokumentarfilm sich mit ihm zu beschäftigen. Nicht die fiktive, sondern die reale Inszenierung hatte seiner Person zu gelten. Dies schloss jedoch nicht aus, dass sein Gedankengut, ja selbst seine aktuellen Handlungen in historischer Übertragung, gleichsam in historischen Gestalten als Antizipation, seiner Erscheinung in der tausendjährigen Heilsgeschichte zum Tragen kommen sollten. Bismarck war eine der Lieblingsfiguren, die als Wegbereiter Hitlers die Voraussetzung zur gegenwärtigen Schicksalsgeschichte liefern sollte, dann in Ansätzen auch Moltke, der souverän und ruhig die grossen Schlachten gewinnt und insbesondere Friederich der Grosse von Preussen. Die Fridericus-Rex-Filme bilden bereits in Kracauers Untersuchung über den Film der Zwanzigerjahre "Von Caligari zu Hitler" das Gefäss für alle jene Ideen, Träume und Vorstellungen, welche von einer totalen Unterwerfung unter die absolute Autorität ausgingen. Die Fridericus-Rex-Problematik blieb auch nach 1933 mit einer Reihe von Filmen aktuell, die anhand der Figur Friedrich II, sowohl in der Auseinandersetzung mit seinem Vater, dem Soldatenkönig, als auch als Staatsführer, besonders während des siebenjährigen Krieges, die Themen des Gehorsams, der Autoritätsfigur, der Pflichterfüllung und des militärisch-kriegerischen Geistes abhandelten. Wie kompliziert die Situation jedoch werden konnte, wenn ein Film einerseits propagandistisch den Absolutheitscharakter der Autorität zum Thema hat, dann aber anderseits unfreiwillig einen erweiterten, nicht beabsichtigten Realitätsbezug erhält und damit die Propaganda kontraproduktiv werden lässt, geht aus Veit Harlans, mit grossem Aufwand 1942 hergestellten Film DER GROSSE KÖNIG hervor.
Denn wie Veit Harlans Darstellung eines alternden, während des siebenjährigen Krieges fast zusammenbrechenden Königs in die Kinos kommt, hat sich die deutsche Lage verändert. Nach dem Kriegseintritt der USA und dem Stocken des Vormarsches im Osten war es zu den ersten deutschen Niederlagen in Afrika und Osteuropa gekommen. Goebbels, der in dieser Situation für eine straffere, brutalere und effizientere Kriegsführung eintrat, schreibt im Zusammenhang mit Veit Harlans Film in sein Tagebuch:
«Wir leben in einer Zeit, in der wir friderizianischen Geist nötig haben. Nur mit letzter Anspannung werden wir der Schwierigkeiten Herr werden, vor denen wir stehen. Überwinden wir sie, so werden sie zweifellos die nationale Widerstandskraft befestigen; und auch hier bewahrheitet steh das Nietzsche-Wort, dass das, was uns nicht umbringt, uns stärker macht.» |
Auf die aktuellen Parallelitäten des Films, die Goebbels letztlich gar nicht gefiel und die es umzufunktionieren galt, geht er im Rahmen einer Radio-Geburtstagsrede am 19. April auf Hitler ein:
«Die Parallelität zur Gegenwart ist in den Worten, die der grosse König spricht, in den seelischen Krisen, die er mit seinem Volk kämpfend und leidend durchlebt, manchmal so verblüffend, dass die Schöpfer dieses Dramas sich genötigt sahen, gebührend darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht etwa kurz vor Weihnachten zu bestimmten lehrhaften Zwecken, sondern schon im Frühsommer 1940 ohne Zusammenhang mit den Aufgaben und Pflichten unserer Zeit geplant wurde, die aktuelle Prägnanz der Sentenzen und die Gleichartigkeit mancher hier geschilderter Vorgänge also nicht auf bewusste Propaganda zurückgeführt werden könne, sondern ihre Ursachen in tiefliegenden geschichtlichen Gesetzen zu suchen habe.» |
Doch die Aktualität war so greifbar
geworden, dass die Generalität gegen jene Szene protestierte, die ich Ihnen
gleich zeigen werde: Die Generäle treten für Frieden ein, sodass sich Friedrich
der Grosse gezwungen sieht, selbst den Oberbefehl über die Armee zu übernehmen.
Hinzu kommt, dass Otto Gebühr, der auf Friedrich-Rollen spezialisiert wurde, brillant
und in der Gestik, im Spiel der Augen, in der Haltung der Gestalt Friedrich hitlerianische
Züge verleiht: wie er unter den Generälen auftritt, sich an den Tisch begibt,
die Lage bespricht, den Oberbefehl übernimmt und wieder abgeht – als der grosse
Einsame –, wie Hitler zur gleichen Zeit in einer Wochenschau erschien, sehr zum
Entsetzen des Sicherheitsdienstes, der bemerken musste, dass das Publikum
solche Bezüge herzustellen begann.
Anders Hitler: Ihm gefiel der Film. Er liess sich eine private Kopie
herstellen, die er Mussolini schenkte.
Man fühlt sich an Chaplins DER GROSSE DIKTATOR (THE GREAT DICTATOR, USA 1940) erinnert.
Goebbels wollte keine offene Propaganda im Spielfilm. Ihm schwebte eine kunstvolle Verschleierung vor. So sind denn auch die eigentlichen Propagandafilme im Bereich des Spielfilms durchaus überblickbar. Einzelne Beispiele ragen wegen ihrer ideologischen Präsentation und teilweise auch wegen ihrer filmgestalterischen Machart heraus. Doch im Laufe der Zeit wurden alle Bereiche, die sich für Tendenzfilme eigneten, in irgendeiner Weise abgedeckt. So gab es Filme über Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg, welche der Verherrlichung des Krieges dienten, Filme über das lasterhafte und korrupte Weimar, die antidemokratische und antiparlamentarische Haltungen bestärken sollten, Filme über Deutsche im Ausland zwecks Aufbau kolonialer Ideen und zugleich eines herzergreifenden Heimwehs, dann antisemitische, antisowjetische, antikommunistische und antienglische Filme je nach politischer Situation, Filme zur Verherrlichung der Jugend in Organisation und Militär, einen Euthanasiefilm und Filme über historische Führergestalten und schliesslich Durchhaltefilme wie Veit Harlans 1943/1944 gedrehter, mit allen finanziellen Mitteln und Sachwerten ausgestatteter – er gilt als der teuerste Film der deutschen Filmgeschichte – Grossfilm KOLBERG, der am 30. Januar 1945 in der besetzten Atlantikfestung La Rochelle und in Berlin seine Uraufführung erlebte.
Gemäss Veit Harlans Memoiren gab es wegen diesem Film zwischen dem Regisseur und Goebbels schwere Auseinandersetzungen, denen schliesslich der gedrehte und montierte Film im Wert von zwei Millionen Mark zum Opfer fiel. Der Film selbst hatte 8,5 Millionen gekostet, 187'000 Soldaten seien als Statisten aufgeboten gewesen, 10’000 Uniformen wurden geschneidert. Es wurde blinde Munition hergestellt, während an der Front Munitionsmangel herrschte. Das Kino hatte die Wirklichkeit zu übertreffen. Ich zeige Ihnen eine kleine Szene aus diesem Film – eine Szene zwischen dem Bürgermeister Nettelbeck und dem schönen General Gneisenau. Die Geschichte spielte sich zwar anders ab. Aber jetzt galt es, Goebbels Widerstandsreden in filmogener Umsetzung wiederzufinden. Damit war – im Sinne Goebbels – der Aktualitätsbezug zur Tendenz geworden. "Jetzt können wir [?] sterben" ist Gneisenaus letzter Satz.
Neben Unterhaltungsfilmen mit klarer Tendenz gab es die immense Produktion von Unterhaltungsfilme, die ohne Hitlergruss so taten, als gäbe es die nationalsozialistische Realität gar nicht. Wie jedes Land hatte auch das nationalsozialistische Deutschland seine eskapistischen Filme. Nicht umsonst versuchte man Hollywood nachzueifern, besonders auch im Revuefilm.
1941 sagte Goebbels: "In einer Zeit, in der der gesamten Nation so schwere Lasten und Sorgen
aufgebürdet werden, ist auch die Unterhaltung staatspolitisch von besonderem
Wert". Und im Jahre darauf ergänzte er:
"Auch die gute Laune ist kriegswichtig. Sie zu erhalten und zwar gerade
dann, wenn wir besondere schwere Belastungen zu ertragen haben, ist ein
dringendes Erfordernis einer erfolgreichen Kriegsführung an der Front und in
der Heimat." Und so singt denn Zarah Leander in DIE GROSSE LIEBE von Rolf
Hansen, der Filme wurde im Juni 1942 uraufgeführt: "Davon geht die Welt nicht
unter". Nun sie ging nicht unter, aber gerade schön und unterhaltsam war
es auch nicht – 1942 an der Ostfront. Doch wie sagt Goebbels: "Auch die gute
Laune ist kriegswichtig". Und bis 1943 sahen 27 Millionen Zuschauern den Film.
Wenden wir uns in der zweiten Stunde dem
italienischen Film der faschistischen Zeit zu.
Das Italienische Kino hatte als Produktionsstätte von Monumentalfilmen, mit der
Schaffung des Divismo – des Diven- respektiv Starkultes – und mit den sogenannten
Leidenschaftsdramen, den melodramatischen Vorläufern der telefoni bianchi zwischen 1913 und 1920 seine grosse Zeit erlebt.
Während des Ersten Weltkrieges wurden über vierhundert Filme jährlich hergestellt. 1920
waren es immer zweihundert Filme, aber als Mussolini 1922 an die Macht kam, war der
Zusammenbruch der italienischen Filmindustrie bereits eingeleitet. Zwischen
1924 und 1930 wurden jährlich noch zehn Filme produziert. Statt dem Kino wandte man sich den Grossspektakeln Mussolinis zu, seinen
barocken Selbstdarstellungen und faschistischen Apotheosen. Auf dem Markt
fanden sich in erster Linie ausländische, insbesondere amerikanische Filme.
Das faschistische Regime interessierte sich im Gegensatz zum
nationalsozialistischen Regime in Deutschland kaum für den Film. Einzig durch
die Gründung der Gesellschaft "LUCE" im Jahre 1925 übernahm die
faschistische Regierung die Kontrolle über die Herstellung von Lehrfilmen, Dokumentarfilmen
und der Wochenschauen, welche die ausländischen Wochenschauen aus dem Kino zu
verdrängen hatten, denn die Vorführung der italienischen Wochenschau wurde für
obligatorisch erklärt. Einzig im Kurz- und im Erziehungsfilm und in den
Wochenschauen sah die Regierung einen Propagandawert.
Mit dem Aufkommen des Tonfilms 1930 bahnte sich eine Änderung an. Die Filmproduktion
erholte sich. 1934 werden bereits über dreissig Filme wieder gedreht. Und 1934 setzt
die Wende ein. Die faschistische Regierung erkennt den Einfluss des Films auf
das politische Klima in Italien und unter der Ägide von Graf Ciano werden eine
Reihe von Massnahmen eingeleitet, die einen neuen, auf die faschistische Zeit
bezogenen Film ermöglichen sollten.
Im Rahmen des "ministero per la cultura popolare" wird eine Direktionsstelle für Film geschaffen, nachdem bereits 1931 ein Filmförderungsgesetz erlassen worden war, das von 1934 an jährliche Subventionen als Produktionshilfe ausschüttete. Im Jahre darauf – das Regime hat offensichtlich die Bedeutung des Spielfilms erkannt – werden Filmklubs für Jugendliche und Studenten geschaffen, und es entsteht eine staatliche Filmschule "Centro Sperimentale di Cinematografia", die im Sinne einer faschistischen Filmästhetik die Filmschaffenden ausbilden sollte. Doch diese Schule wird das Zentrum intellektueller, künstlerischen und dann auch politischer Überlegungen, die in ihrem kritischen Ansatz jene Opposition begründen, die noch während des Krieges politisch und filmisch die Nachkriegszeit einleiten. An dieser Filmschule schliessen ab: Roberto Rossellini, Michelangelo Antonioni, Luigi Zampa, Pietro Germi, Giuseppe de Santis, Dino de Laurentis, Alida Valli und andere.
1937 erhält der italienische Film à,
eine Filmstadt modernster Studios, in denen für die neue Zeit gearbeitet werden
sollte. Im gleichen Jahr wird, ebenfalls staatlich gefördert, die Filmzeitschrift
"Bianco e Nero" gegründet, die von jungen Filmkritikern geschrieben
einer noch unbeachteten Avantgarde angehört und theoretisch die "neue Schule"
– den Neorealismus – vorbereitet.
Die Filmproduktion steigt. 1942 werden 120 Filme gedreht. Nach einem kurzen
Rückgang am Ende des Krieges werden bereits 1946 wieder 70 Filme hergestellt.
Auf dem Hintergrund des faschistischen Kinos war ein neuer Film herangewachsen,
der nach dem Kriege eine Blüte des italienischen Kinos ermöglichte.
Wie sah nun der italienische Film von 1934
an aus, nachdem das Regime zur Förderung der Filmindustrie übergegangen war?
Waren in der Stummfilmzeit Leidenschaftsdramen mit berühmten weiblichen Stars
italienische Spezialität, so wurden dies in den Dreissigerjahren die "Filme der
weissen Telefone". Es sind mondäne Komödien und Melodramen, die in gehobenen
Kreisen spielen, dort wo überall weisse Telefone herumstehen. In diesen Filmen werden die im Sinne
eskapistischer Unterhaltung Probleme und Schwierigkeiten in die gute
Gesellschaft gelegt, die für den gewöhnlichen Kinogänger sowieso nur als eine
im Kino existierende Gesellschaft erscheint, lebend in Räumen, die Cinecittà-Kulissen sind. In sie werden
die Herzensgeschichten und die kleineren und grösseren Unglücksfälle des Lebens
projiziert, als gäbe es keinen eigenen Sozialraum und keine eigene
Lebensrealität. Durch die Ausklammerung der Umwelt des Zuschauers wird im Film
der Eindruck geschaffen, dass es in Italien keine Probleme gibt, keine sozialen
und gesellschaftliche Konflikte, keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Alle
leben harmonisch unter dem wohlwollenden Blick des Duce. Realistisch ist, was
sich ausserhalb der eigenen Realität abspielt.
Neben diesen Filmträumen, die das Hollywood-Unterhaltungskino zum Vorbild
haben, wird ein ganz auf Kinoerlebnis getrimmter Propagandafilm wirksam, dessen
Zielsetzung war, das imperiale Nationalgefühl und den Mussolini-Heroismus bild-
und lautstark zu pflegen und die grosse vergangene und gegenwärtige Geschichte
möglichst opernhaft zu besingen, was durchaus Teil italienischer Filmtradition
ist, die von Quo Vadis bis zu den Fellini-Spektakeln reicht.
So entsteht nach Beendigung des Äthiopien-Feldzuges Carmine Gallones gegenwartbezogenes Historiengemälde aus römisch-imperialer Zeit SCIPIONE L'AFRICANO und ebenso propagandistisch feiert Augusto Genina in LASSEDINO DEL ALCAZAR den Sieg Francos über die republikanische Arme.
In unserem Zusammenhang, besonders im
Zusammenhang der offiziellen Forderung nach Tendenzfilmen, wird eine andere
Entwicklung bezeichnend, die von der etwas selbstgefälligen "italienischen
Selbstdarstellung" als passiver Widerstand umschrieben wird. Die
Regisseure nahmen die Aufträge an, brachten dann mit Vorliebe Stoffbereiche des
19. Jahrhunderts literarischer Art ein, um in schönen Bildern – formvollendet –
Ästhetizismus zu demonstrieren. Wegen ihrer visuellen Eleganz und ihres
stilistischen Formalismus wurden die Regisseure – zu ihnen gehörten Mario
Soldati, Renato Castellani, Alberto Lattuada – als calligaristi – Schönschreiber bezeichnet. Diese Form der inneren
Emigration in die Perfektion einer Filmästhetik, die sich ebenso eskapistisch
gibt wie die telefoni bianchi, wurde
von den Kritikern der Filmzeitschrift "Bianco e Nero" vehement
abgelehnt. Sie wollten die Zuwendung zur Wirklichkeit. Da dies im Spielfilm
kaum möglich war, wurde der Dokumentarfilm, der zwar vom Regime besonders mit
Tendenz behaftet erwünscht war, zur Möglichkeit, sich der italienischen
Wirklichkeit anzunähern.
Und so will ich Ihnen jetzt zum Abschluss noch einen Ausschnitt aus einem Film
zeigen, der eindeutig ein Propagandafilm der italienischen Kriegsmarine ist und
dennoch neue Töne aufweist: LA NAVE BIANCA, der erste Film von Roberto
Rossellini, 1942 entstanden.
Das Marineministerium liess eine Reihe von Filmen drehen, welche sowohl die italienische Kriegsmarine, die Unterseeboote, Kreuzer und Schlachtschiffe besingen, als auch die Lieblingsidee des Duce vom Mare nostrum, vom Meeresimperium, propagieren sollten, wofür mit ganzer Seele zu kämpfen sei. Ein ehemaliger Marineoffizier – Franceso de Robertis – wurde der Regisseur dieser Filme, wobei besonders sein Unterseebootfilm UOMINI SUL FONDO (1941) mit einer äusserst realistischen, auf Sachkenntnis beruhenden Darstellung Erfolg hatte. Bei diesem Film war Rossellini Assistent und bekam dank der Unterstützung durch De Robertis den Regie Auftrag für LA NAVE BIANCA – einem Film über ein Spitalschiff.
Der Film fällt in zwei Teile auseinander.
Der erste Teil ist dem Schlachtschiff Arno gewidmet, das zur Schlacht ausfährt
und in schwere Not gerat. Der zweite Teil spielt sich auf einem Spitalschiff ab
und hat als Thema die Betreuung verwundeter Soldaten und Offiziere. Rossellinis Film ist eindeutig ein Propagandafilm. Zu Beginn des Films steht
in Anlehnung an den Panzerkreuzer Potemkin die Schönheit des Schlachtschiffes
Arno im Zentrum, das in seiner sinnlichen Körperlichkeit glänzt.
Die wichtigsten Themen faschistischer Propaganda werden demonstriert: die
Gesten des Militarismus und der Duce-Verehrung: Wenn das Schlachtschiff aus allen
Rohren schiesst, grüsst die Besatzung ihren Mussolini. Die Schüsse sind dem Duce
gewidmet.
Die Sorge um das Schicksal des Schlachtschiffes ist letztlich grösser als die
Sorge um die eigenen Verwundungen und Schmerzen. Mussolini-Inschriften auf dem
Schiff sorgen für ein Propagandaklima: "Wer anhält, ist verloren. Menschen
und Maschinen ein einziger Herzschlag". Dies tönt wie ein Slogan der Futuristen.
Ich zeige Ihnen die ersten 17 Minuten des Films. Der Film beginnt mit der
visuellen Apotheose auf das Schlachtschiff. Dann entwickelt sich auf dem
Schlachtschiff eine private Geschichte. Die Matrosen schreiben Briefe.
Einer schreibt für andere, die nicht so gut schreiben können. Post kommt an. Es
ist auf dem Schlachtschiff friedlich, gemütlich. Ein Aussenseiter ist, der
Kleine, Verschupfte, den man gerne etwas neckt und plagt. Er bekommt keine
Post. Doch dann trifft ein Express ein – von seiner Brieffreundin. Er bereitet
sich für den Urlaub vor, stiehlt aus der Offiziersmesse eine Blume. Doch
der Urlaub wird abgebrochen. Die Frau wartet umsonst. In dem Moment, in dem die
Liebesgeschichte, die private Geschichte einsetzen sollte, erhält das
Schlachtschiff den Befehl zur Ausfahrt. Statt der Liebesbegegnung geht es zur
Schlacht, zur Begegnung mit dem Feind. Die private Liebe hat der grösseren
Liebe, der Liebe zum Vaterland, zum Duce, zum grossen Meer, das es zu
beherrschen gilt, zu weichen.
Filmästhetisch wird einerseits pathetisch das Schlachtschiff in seiner Wucht
aufgebaut, anderseits findet eine genaue Beobachtung der Matrosen statt –, eine
fast dokumentarische Darstellung, die dann später wieder aufgenommen wird, wenn
der Film minutiös die Arbeit an Bord beschreibt, auch die Angst während der Schlacht
im tiefen Bauch des Schiffes ist die
genaue Aufzeichnung von Arbeitsbeobachtungen auf einem Schlachtschiff.
Die Ausfahrt des Schlachtschiffes mutet wiederum sehr russisch an.
Ehrfurchtsvoll stehen die Menschen da, als würde der Papst persönlich zur
Schlacht fahren – was gar nicht so unmöglich wäre, wenn wir an die Sympathien
Pius XII für das antibolschewistische Deutschland und für Mussolinis
Abessinien-Abenteuer denken.
Draussen auf dem Meer kommt es zur Schlacht.
Fasziniert bewundert die Kamera die Technik eines Schlachtschiffes. Die Schlacht
selbst erhält dokumentarische Züge. Die Schrecken des Seekrieges werden
eindrücklich vermittelt. Dann aber setzt wiederum die Propaganda ein. Es wird
gezeigt, wie selbst der kleinste Soldat gerettet, umsorgt und betreut wird, als
möchte man den Zuhause Gebliebenen sagen: Krieg
ist schrecklich, aber wir sorgen für eure Väter, Söhne und Männer. Und so zeige
ich Ihnen noch eine Parallelmontage: Während die Schlacht tobt, wird der kleine
Verschupfte im Innern des Schiffes operiert.
Im deutschen Krieg steht am Ende der Opfertod. Im Heldentod vollendet sich das
Opfer für den Führer. Im italienischen Propagandafilm kommt man am Ende noch
davon – ohne Opfertod!