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Seminar für Filmwissenschaft

«Lebende Bilder» – Das Spiel mit Stillstand und Bewegung als mediale Geste des Ostentativen in Tableaux vivants und Frühem Kino (Arbeitstitel)

Daniel Wiegand, Dr. des.
Stipendiat im NCCR Mediality: Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven

Referent: Jörg Schweinitz

Das Frühe Kino ist nur innerhalb einer traditionsreichen und vielgestaltigen visuellen Kultur des späten 19. Jahrhunderts zu verstehen, deren Wirkungsweise zu einem großen Teil auf einer «Ästhetik des Staunens» (Gunning 1989) seitens des Publikums und einem demonstrativ zur-Schau-stellenden Gestus (Attraktion/Ostentation) auf medialer Seite gründete. Zu solchen «Schaulustdispositiven» gehörten Aufführungen von Tableaux vivants. Waren diese zu Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem in höfischen und gehoben-bürgerlichen Kreisen bekannt, so avancierten sie spätestens in den 1890er Jahren zur Attraktion von Großstadtvarietés, mithin zu einer kulturellen Größe der urbanen Moderne. Durch die Ambivalenz von lebendem Körper und unbewegtem Bild scheinen die Tableaux vivants eine Art Gegenentwurf zum Film zu sein, der umgekehrt Bildern durch das In-Bewegung-Setzen nicht-lebender Körper den Anschein des Lebendigen verleiht. Filme traten ab 1896 in Varietéprogrammen neben Tableaux vivants auf, erhielten dort sogar für kurze Zeit die gleiche Bezeichnung «lebende Bilder» und verdrängten Tableaux vivants schließlich. Gleichzeitig rekurriert das frühe Kino sowohl direkt als auch indirekt auf die Tradition der Tableaux vivants, indem es z.B. in einzelnen Filmen zunächst den Stillstand von Skulpturen, Gemälden oder tatsächlichen Tableaux vivants etabliert, um ihn danach spielerisch aufzubrechen und so das eigene Bewegungspotential ostentativ zur Schau zu stellen. In dem Projekt sollen einerseits die tatsächlichen historischen Verbindungslinien zwischen Tableaux vivants und Film nachgezeichnet werden, andererseits soll dies als Grundlage dafür dienen, den filmischen Umschlag von Stillstand auf Bewegung als mediale Geste des Ostentativen für die Zeit um 1900 theoretisch zu untersuchen.