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Geschichte, Gestaltung und Formen des Dokumentarfilms

Vorlesung 8: Wertow, Ivens, Objektivität, Grenzen dokumentarischer Inszenierung, Leni Riefenstahl

Dsiga Wertow will durch die Montage der Fakten die Wirklichkeit dechiffrieren. Kategorisch lehnt er jegliche Fiktionen und Inszenierungsformen ab. Die Realität bildet das filmische Rohmaterial, das am Schneidetisch im Sinne einer Agitprop-Wirkung verarbeitet wird. Joris Ivens bekennt sich dagegen zur Inszenierung im Dokumentarfilm. Die in eine dokumentarisch erfasste Umgebung eingebauten fiktionalen Inszenierungen nennt er Rekonstruktionen. Die Basis bildet dabei wie bei RObert J. Flaherty das stattgefundene Ereignis, das um der Klarheit und der Beispielhaftigkeit willen fiktional rekonstruiert wird. Auf diese Weise soll die tiefere Wahrheit, die Wahrheit, die hinter den Dingen liegt, die Wahrheit, die in die "Funktionale" abgerutscht ist (um Bertolt Brecht zu zitieren) erfasst werden.
Joris Ivens steht bewusst zu dieser Form der dokumentarischen Arbeit. Er vertuscht auch nicht die Inszenierung am Schneidetisch. Er gibt Einblick in die Machart seiner Filme. Er zeigt auf, wie er Bild- und Tonteile, die nicht zueinander gehören, wie er Bilder, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden, zu einer visuell-akustischen Einheit eines bestimmten Ereignisses montiert, als hätte es authentisch auf diese Weise stattgefunden. Die angebliche Authentizität ist jedoch das Ergebnis der Montage am Schneidetisch.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Objektivität. Ivens Antwort ist auch hier deutlich. Für ihn gibt es keine objektiven Dokumentarfilme. So schreibt er im Zusammenhang mit THE SPANISH EARTH über die Parteilichkeit des Dokumentaristen:

Hier gibt es natürlich ein grosses Problem, das ist die Objektivität und Subjektivität des Regisseurs. Würden Sie lieber beide Seiten des Spanischen Bürgerkrieges in einem Film vereint sehen, oder würden Sie ihn lieber von der Regierungsstelle und der faschistischen Seite in zwei getrennten Filmen sehen? Möchten Sie einen Mann sehen, der auf beiden Seiten arbeitet, der versucht, Ihnen einen objektiven Standpunkt zu geben?
Bei solch grossen Problemen wie Leben oder Tod, Demokratie oder Faschismus gibt es keine Objektivität für einen Künstler. Sie sollten den Künstler hassen und lieben lassen, dagegen und dafür sein, weil sich das in seinem Werk widerspiegeln wird. Ich denke, man kann sagen, dass der Dokumentarfilm eine emotionelle Darstellung von Fakten ist. Der Besucher kann versuchen, objektiv zu sein, aber nicht der Dokumentarfilmregisseur.
Wenn wir den Dokumentarfilm als eine Darstellung der Fakten ansehen, und wenn wir auf den Dokumentarfilm als eine Kunstform Wert legen, sogar als eine gute erzieherische Form, haben wie ein Recht, bei unseren Themen subjektiv zu sein.

In einem anderen Zusammenhang zeigt sich Ivens überrascht, dass so viele Leute annehmen, dass ein Dokumentarfilm automatisch "objektiv" sei:

Vielleicht ist die Bezeichnung unbefriedigend, aber für mich ist der Unterschied zwischen den Worten "Dokument" und "dokumentarisch" ganz klar. Verlangen wir von der Zeugenaussage, die einem Gericht vorgetragen wird, Objektivität? Nein, unser einziges Verlangen ist, dass jedes Stück der Aussage eine so vollkommen subjektive, wahrheitsgemässe, ehrliche Darlegung der Haltung des Zeugen sei, wie ein Eid auf die Bibel sie überhaupt nur hervorbringen kann.

Als Leni Riefenstahl nach 1945 durch verschiedene Gerichte der propagandistischen Unterstützung des nationalsozialistischen Reiches angeklagt und zu Haft verurteilt wurde, fühlte sie sich zutiefst missverstanden und zu Unrecht verfolgt. Sie nannte sich eine Zeugin ihrer Zeit, eine Chronistin der Epoche und bezeichnete ihre Dokumentarfilme als objektive Zeitdokumente. Sie habe nichts anderes, so versicherte sie in einem Interview mit den "Cahiers du Cinéma" in den Sechzigerjahren, als "cinema vérité"-Filme gedreht. Sie nahm damit einen Begriff auf, der zu Beginn der Sechzigerjahre im Sinn eines neuen Dokumentarfilmverständnisses aktuell geworden war.
Denn in ihrer Argumentation klammert sie die Frage nach der Ästhetik aus, dass sie eine filmische Gestaltungsform entwickelte, die der Vermittlung eines bestimmten politischen Inhalts entsprach. Dass ihr das Thema vorgegeben war, das sich durchaus als Dokumentierung von historischem Wert verstehen lässt, wenn sie die Aufträge der Partei respektiv des Führers persönlich annahm, ist sachimmanent. Was jedoch Leni Riefenstahl vornahm, war eine Ästhetisierung des Inhalts, die der Ästhetisierung der politischen Macht des Nationalsozialismus entsprach. Das bedeutet, dass auch die Form als Ausdruck filmischer Gestaltungsweise zu einem Zeitdokument wird.

Gehen wir, bevor wir uns auf die Dokumentarfilme Leni Riefenstahls einlassen, der Frage nach, welche Bedeutung besonders jenem Dokumentarfilm zukommt, der sich als zeitgenössische aktualitätsbezogene Dokumentation versteht. In diesem Zusammenhang ist gerade der Agitations- und Propagandafilm hochgradig aktualitätsbezogen und somit historische Quelle der Selbstdarstellung staatlicher und gesellschaftlicher Macht.
Grundsätzlich werden alle Dokumentarfilme, die einen Vorgang genau beschreiben, aus der zeitlichen Distanz zu einer historischen Quelle. Sie geben Auskunft über die Zeit, aber sie geben auch Auskunft, wie die Ereignisse gesehen und erlebt wurden. So sind Dokumentarfilme als Produkte der Zeit zugleich als Dokumente der Zeit zu lesen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Spielfilme, die über Inhalt und Form Vorstellungen, Träume, Hoffnungen und Ängste spiegeln und somit historisches Material zur Geschichtsforschung abgeben. Im Dokumentarfilm und im Spielfilm lassen sich die Spuren einer Zeit ausmachen: Das sprachliche, emotionelle, aber auch visuelle und akustische Klima wird fassbar.

Doch Bilder sind ungenaue Quellen, sind doppeldeutig und beliebig. Ihre Bedeutung und ihren Sinn erlangen sie durch den Ton und durch die Montage – d. h. durch Text, Kommentar, Musik und Geräusche. Dies zeigt sich besonders in den sogenannten Kompilationsfilmen. So werden z. B. Dokumentar- und Propagandafilme aus nationalsozialistischer Zeit in Kompilationsfilmen zu filmischen Beweisstücken gegen die betreffende Zeit.
Der Raum- oder Zeitsprung – das Einst und das Heute, was einst war und heute nicht mehr sein darf, das Jenseits und Diesseits der Grenze – lässt die gleichen Bilder über Bewusstsein, Sprache und Montage einer anderen Sinngebung erliegen.
"Der ewige Jude" von Dr. Fritz Hippler, der nach dem Krieg in Westdeutschland weiter arbeitete, nach einer Idee von Dr. Eberhard Tauber, der nach dem Krieg in Ostdeutschland weiter arbeitete, ist einer der ekelhaftesten rassistischen Dokumentarfilme, die als pädagogische Kulturfilme in Nazideutschland gedreht wurden.
Der Film ist heute ein Dokument der nationalsozialistischen Ideologie des Rassismus. In diesem Film finden sich dokumentarische Aufnahmen aus Ghettos in Polen. Die Aufnahmen hatten damals visuell zu beweisen, dass Juden Ratten sind, die es zu vernichten galt. Die Aufnahmen sollten Ekel erregen, sollten die Notwendigkeit einer Endlösung begreiflich machen. Die gleichen Aufnahmen sind heute Dokumente eines Ostjudentums, das heute nicht mehr existiert, es sind Bilder von Menschen und Strassen, von intensiven Gesängen in den Synagogen, vom Kultur- und Lebensraum einer untergegangenen Welt.
Aufschlussreich ist, dass ich diese erschütternden Bilder – mit einer Ausnahme – noch nie als Zeugnis in einem heutigen Dokumentarfilm gesehen habe. Offensichtlich belässt man sie lieber im nationalsozialistischen Agitationsfilm, wo sie auch weiterhin ihre Funktion zu erfüllen haben. Ganz anders verhält es sich mit Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS. Die meisten Ausschnitte zu Kompilationsfilmen und Fernsehdokumentationen über den Nationalsozialismus stammen aus TRIUMPH DES WILLENS. Der Dokumentarfilm von einst, der nach der Ansicht von Leni Riefenstahl kein Propagandafilm ist, liefert das visuelle und akustische Material für Filme über oder gegen den Nationalsozialismus. Die Lesart des Materials ergibt sich aus dem Kontext. Er legt die Zugehörigkeit fest.

Riefenstahls Film ist kaum je zu sehen. Dann würde man merken, dass immer wieder die gleichen Ausschnitte gezeigt werden. Um den dokumentarischen Charakter von Riefenstahls Film zu erfassen, um ihre Dokumentation ernst zu nehmen und somit auch die geschichtliche Situation ernst zu nehmen, braucht es die ganze Länge des Films.
Der durchorganisierte Ablauf der Geschehnisse wird nur aus der Ganzheit des Films ersichtlich. Es braucht die Sichtbarmachung der ewigen Wiederholungen der eingeübten Rituale, der endlosen Paraden, wenn sich immer wieder ein neuer Heerführer zu den Füssen Hitlers stellt, es braucht die Repetitionen des Applauses und der immer gleichbleibenden Rufe, die in erster Linie den Elite-Truppen und in besonderem Masse der SS gelten und nicht dem viel besungenen einfachen Landser, dem kleinen schmutzigen Deutschen, der in Stalingrad fallen wird. Gerade diesen Ausschnitt sah ich noch nie, denn er würde auch heute noch den Deutschen entlarven, der den Traum vom Übermenschen erleben durfte. So ist die Bild- und Tonselektion des heutigen historischen Kompilations- und Dokumentationsfilm nur Ausdruck für das heutige geschichtliche Verständnis, das sich in der Montage der Teile äussert.

In seinem Aufsatz "Der Dokumentarfilm als historische Quelle" weist Wilhelm Roth, der auch ein Buch über den Dokumentarfilm seit den Sechzigerjahren geschrieben hat, darauf hin, dass Leni Riefenstahls Apotheose auf den Nürnberger Parteitag TRIUMPH DES WILLENS – gerade weil sie einen sehr genauen Blick auf die Ereignisse in Nürnberg warf – statt Bestätigung des nationalsozialistischen Selbstverständnisses auch Ablehnung des Nazismus bewirken konnte. Wer kritisch der nationalsozialistischen Bewegung gegenüberstand, fand hier visuell ausgebreitet das Material vor, das einem das Grauen lernen liess, auch wenn man gar nichts Grauenhaftes sah: Was man sah, war die Rekrutierung der Massen, zur Feier des Tages und des Führers als Ornament geordnet. Was man sah, war die szenische und filmische Monumentalisierung der Macht. Was man sah, war das Fest, das die Insignien kollektiver Gewalt trug. Dies sah man, wenn man sehen wollte, und man hörte eine Sprache, die alles besagte, falls man hören wollte. Denn Riefenstahls Dokumentarfilm war und ist ein perfekt gemachter Propagandafilm, der gerade, weil er ein Propagandafilm ist, schon in den Dreissgerjahren die politische Wirklichkeit in ästhetisch adäquater Form dokumentierte.

Wenden wir uns Leni Riefenstahl zu, jener umstrittenen Filmregisseurin nationalsozialistischer Dokumentarfilme wie beispielsweise der Propagandafilme SIEG DES GLAUBENS, TRIUMPH DES WILLENS, TAG DER FREIHEIT und OLYMPIA – FEST DER VÖLKER, FEST DER SCHÖNHEIT.
Die einen  – besonders aus dem anglo-amerikanischen Raum und auch in Frankreich – feiern ihre Filme als Klassiker der Filmkunst (der Begriff "Klassiker" ist bezeichnend für eine bestimmte kulturgeschichtlich geprägte Wertvorstellung), die anderen lehnen ihre Filme als ärgerliche nationalsozialistische Machwerke ab.
Leni Riefenstahl vermochte sich nach dem Krieg über mehrere Prozesse schliesslich den Persilschein zu besorgen, wonach sie nicht eine aktive Nationalsozialistin gewesen sei. Die Rückkehr zur Filmarbeit misslang ihr jedoch, obwohl sie schliesslich die von der französischen Armee beschlagnahmte Kopie ihres während des Krieges noch realisierten Films TIEFLAND frei bekam und Jean Cocteau, als Verehrer Leni Riefenstahls, den Film 1956  ans Festival von Cannes zu bringen versuchte.

Ein Film über die moderne Sklaverei in Afrika liess sie 1956 den schwarzen Kontinent entdecken. Da der Film misslang – die Gründe werden verschieden kolportiert –, wurde sie Fotografin und statt deutscher Recken lichtete sie schwarze Körperlichkeit ab. Der Stamm der Mesakin-Nuba wurde im Sudan ihr ästhetisches, apolitisches Objekt. Als dieser Stamm vom Tourismus eingeholt wurde, wich sie für ihr zweites Buch weiter in den Sudan aus, nach Kau. Das war 1975.
72-jährig lernte sie Unterseetauchen, gab sich, damit sie in die Taucherschule aufgenommen wurde, als 52 aus. In der Folge ging sie in die Karibik, wo ihr erstes Buch von Unterwasserfotografien "Jardin de Corail" ("Der Korallengarten") entstand.
Mit 80 Jahren fotografiert sie die Unterwasser-Schönheit der Malediven. Heute lebt sie – etwa 30 Kilometer von München entfernt – in einer grossen Villa im Grünen – inmitten ihres perfekt geordneten Archivs ihrer filmischen und fotografischen Vergangenheit.

Leni Riefenstahl erscheint wie ein weiblicher Cecil B. DeMille, der dem dokumentarischen Film das monumentale Kino gab. Doch ohne Reitpeitsche und Stiefel vermochte sie – ehrgeizig und arbeitswütig, wie sie von ihren Mitarbeitern geschildert wird – die Autoritätsstrukturen einer militaristischen und männlichen Gesellschaft zu meistern, und für ihre Filmproduktion die Mitarbeiter – bei TRIUMPH DES WILLENS waren es z. B. 45 Kameraleute – zu einem absoluten Gehorsam zu zwingen.

1 DER HEILIGE BERG (Riefenstahl-Porträt als Diotima)

Das war Leni Riefenstahl als Diotima in Arnold Fancks Film DER HEILIGE BERG (1932). Als Helena Berta Amelie Riefenstahl 1902 in Berlin geboren, bildete sie sich zunächst zur Tänzerin aus und kam als solche zum Film, wie Sie eben gesehen haben. Sie wurde Fancks beliebteste Darstellerin in seinen Bergfilmen, die im Gegensatz zur damals üblichen Studioarbeit in der Unmittelbarkeit von Gletschern, Stürmen und Lawinen entstanden: DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ, STÜRME ÜBER DEM MONT BLANC, DER WEISSE RAUSCH, S.O.S EISBERG. 1932 drehte Leni Riefenstahl mit dreissig Jahren ihren ersten Film DAS BLAUE LICHT – eine Berglegende. Sie führte Regie, spielte zugleich die Hauptrolle der Junta und experimentierte zum Schrecken des Kameramanns Hans Schneeberger mit einer Mischung von rotem und gelbem Filter, um die ihr notwendig scheinende Bildmagie des blauen Lichtes auf Schwarz-Weiss hinzubringen. Der marxistische Filmtheoretiker Béla Balázs schrieb das Drehbuch. Und in diesen Film verliebte sich Adolf Hitler.

DAS BLAUE LICHT ist ein magisch-romantischer Film über die Durchdringung von Mensch und Natur, ein Film über ein Naturkind, das durch die Berge tanzt, als gäbe es keine Absturzgefahr. Es ist ein Film voller "Schicksalshaftigkeit und mystischer Geheimnisse" (Rowohlt-Filmlexikon, S. 238). Der Film thematisiert aber auch, dass die Aufklärung der Natur schadet, sodass die Idylle glückhafter Natur, Liebe, Mensch und Tier zerbricht. Der Mann, der den Berg und die Frau als seinen Besitz betrachtet und mit der Aufklärung des Dorfes den Bann des Todes brechen will, wird zum Verräter an der Natur. Junta stürzt, um ihre Magie gebracht zu Tode, jedoch wird das Dorf an den Schätzen des Berges reich. Junta ist aber auch eine Verfolgte, sie wird als Hexe bezeichnet. Sie bringt den jungen Männern den Tod. Sie ist die Aussenseiterin, die Ausgestossene.

Was faszinierte Hitler an diesem Film? Das Archaisch-Magische, die Blut-und-Boden-Romantik? Und was faszinierte Hitler an dieser Figur, die in ihrem Anderssein, in ihrem Ausgestossen-Sein, in ihrer Nichtzugehörigkeit zum Volksganzen einer Zigeunerin gleichkommt, wie eine Jüdin wirkt?
Die Historiker beschäftigen sich nicht mit Hitlers Kinofaszination, mit seiner Vorliebe für russische Revolutionsfilme, z. B. auch für Eisenstein – was Eisenstein so sehr erzürnte, da er sich nicht von Hitler geschätzt wissen wollte. Und noch weniger beschäftigen sich die Historiker mit Hitlers Vorliebe für DAS BLAUE LICHT, die bewirkte, dass Leni Riefenstahl zu einem der gewaltigsten Aufträge kam, den die Partei zu vergeben hatte: der Dokumentation des Parteitags zu Nürnberg 1934. In Hitlers Biografien, soweit ich sie konsultieren konnte, findet sich der Name Riefenstahl nicht. Mann will sich nicht, wage ich einmal zu behaupten, mit Hitlers "Alter Ego" beschäftigen.

Es folgt nun ein Ausschnitt aus DAS BLAUE LICHT: Eine Pogrom-Szene in den Dolomiten.

2 DAS BLAUE LICHT (Pogrom-Szene)

In diese Zeit – 1932 – fällt auch die Begegnung mit Hitler. 1933 erhält Riefenstahl vom Propagandaministerium den Auftrag, den Parteitag der NSDAP 1933 filmisch zu dokumentieren. Der Film erhält den Titel: SIEG DES GLAUBENS. Der Film kommt nicht in die Kinos, sondern wird nur intern in den Parteigremien vorgeführt. Er wirkt wie eine Skizze zu TRIUMPH DES WILLENS. Im Grunde ist alles schon da – gleichsam die Ideensammlung für den späteren Film: Hitler fliegt mit dem Flugzeug ein: Die Fahrt durch die jubelnde Menge. Selbst der Hitler-Gruss, von hinten gefilmt, der in TRIUMPH DES WILLENS das Zeichen einer ganzen Sequenz werden wird, ist als Ideenskizze vorhanden. Nur wirkt alles noch irgendwie ärmlich, ungeordnet, chaotisch. Die Menschen rennen über den Rasen. Noch sind sie nicht zum Spalier geformt. Ein Holzzaun hält Hitler auf. Noch fehlen die Marmorkulissen, die von Prof. Speer entworfen werden, noch fehlen die wagnerianischen Machtoden und Demonstrationen der Embleme und Zeichen.

Dafür finden sich – als wäre man tatsächlich in eine "direct cinema"-Reportage geraten – unerwartet Beobachtungen: wie z. B. ein Sicherheitsbeamter durch die Soldatenreihen eilt, um dem Führer Platz zu schaffen – d. h. das Inszenierungsfeld zu ebnen –, die Inszenierung zu ermöglichen. Wie einzelne Begleiter versuchen, sich neben Hitler zu stellen, mit ihm gleichwertig zu marschieren. Die Machtverhältnisse sind noch nicht genau geregelt – ein bemerkenswertes Dokument. Die Kamera schaut dabei von oben zu.

Wir schauen uns zwei Ausschnitte an. Dazwischen gibt Walter Frentz, einer von Leni Riefenstahls Kameramännern, der für Grossaufnahmen und Travellings eingesetzt wurde, ein paar Hinweise zur Arbeit am Film ab. Der Ausschnitt stammt aus einem vom welschen Fernsehen ausgestrahlten Riefenstahl-Porträt aus dem Jahre 1982. Es handelte sich um eine Fernsehsendung in der Reihe DESTIN. Leni Riefenstahl hätte damals ein Interview am Fernsehen geben sollen. Sie weigerte sich aber zu erscheinen, falls das Fernsehen aus ihrem Porträt nicht die Aufnahmen über die Judenverfolgung herausnähme. Da das Fernsehen dieser Aufforderung nicht nachkam, fand das Interview nicht statt und es verblieb ein Filmbericht mit Ausschnitten aus ihren Filmen und mit Beiträgen ihrer Mitarbeiter, besonders ihrer Kameraleuten.

3 SIEG DES GLAUBENS (Riefenstahl-Porträt)

Wenden wir uns der gleichen Sequenz aus TRIUMPH DES WILLENS zu und schauen wir uns an, was aus der Skizze wurde. Leni Riefenstahl erhält von Hitler den Auftrag, den Nürnberger Parteitag des Jahres 1934 zu filmen. Mit 45 Kameramännern und 170 Mitarbeitern – nach anderen Quellen sollen es nur 36 Kameramänner gewesen sein – zeichnet Leni Riefenstahl den Parteitag auf. Speer entwirft die Architektur, Goebbels arrangiert die Szenerie und Hitler soll – wie es heisst – alles persönlich überwacht haben. Und Leni Riefenstahl organisiert den Film.
Aus wagnerianischen Urtiefen einer schwarzen Leinwand taucht in gemeisselten schattenplastischen Buchstaben der Vorspann auf: TRIUMPH DES WILLENS – Das Dokument vom Reichstag – [man beachte den Begriff] hergestellt im Auftrag des Führers – gestaltet von Leni Riefenstahl.

4 TRIUMPH DES WILLENS I (Ausschnitt "Anfang")

Die politische Macht erlebt dank des Einsatzes filmischer Gestaltung eine narzisstische Selbstdarstellung, Autor ist die Riefenstahl. Dass sie dabei einen gigantischen Produktionsapparat, der der politischen Macht entsprach, zur Verfügung bekam, ist der Traum jedes Gross-Kino-Regisseurs. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass sich das Reich mit den höchsten filmischen Auszeichnungen revanchierte. 1935 erhält sie den deutschen Filmpreis. Goebbels hält die Laudatio. Da fallen Sätze wie: Der Film TRIUMPH DES WILLENS ist zeitnah, weil er die Zeit darstellt. Er ist die grosse filmische Vision des Führers.
Die filmische Vision des Führers. Dies ist einerseits die Inszenierung des Reichstages. Dies ist aber auch die Umsetzung dieser Inszenierung in eine filmische Ästhetik, die der politischen Machtdemonstration entspricht. Die Ästhetik des Faschismus geht auf in der Idee eines Gesamtkunstwerks, das sich zusammensetzt aus: Monumentalität, fotografischer Magie, Körperornamentik, Dekorations-Architektur aus Stein, wehenden Fahnen, sich bewegenden und erstarrten Leibern, Nachtspielen von Licht, Fackeln und Feuerwerk, Wagner und Marschmusik, knappem Kommentar, keinen Worten, nur Rufen, Schreien, der Reduzierung der Sprache auf "Heil Hitler", "Sieg Heil" und auf plakative Slogans Hitlers und seines internen Kreises. Und dies eingefügt in die lange Dauer sich immer wiederholenden Ritualen, als würde das Fest endlos dauern.

Die Bildgestaltung lebt von starken Gegensätzen: Weiträumigen Totalen, die den Raum zur Ornamentik gestalten, stehen plastisch gemeisselte Grossaufnahmen gegenüber, klare Tagesbilder kontrastieren mit Nachtbildern, in denen der Ton das kaum Sichtbare evoziert. Statische Aufnahmen, gleichsam zum Signalbild reduziert, werden zu langen Travellings gesetzt, die den Schwung der Bewegung über die Kamerabewegung visualisieren sollen. Ideologie zur Ästhetik verinnerlicht, das ist das Dokumentarische an den Dokumentarfilmen Leni Riefenstahls. Und so vermochte sie auch nie Distanz zu ihren eigenen Filmen zu gewinnen. Dies zeigt sich auch in ihren Memoiren, die sie 912 Seiten dick im Jahre 1987 mit 85 Jahren in den Verkauf brachte: Sie habe stets das Schöne gefilmt. Die filmische Vision des Führers. In dem Sinne ist TRIUMPH DES WILLENS als  Dokument der Zeit zu sehen.

Erst durch den Film wurde der Reichstag zum Reichstag. Dann durch die Positionierung der Kameraleute an strategisch wichtigen Punkten, durch die Sichtweisen der Kameras und die Montage der Bilder entstand ein Reichstag, wie ihn keiner der Beteiligten sehen konnte. Die Dokumentierung des Reichstages wurde über die Handhabung einer filmischen Gestaltung, die in ihrem ästhetischen Verständnis der politischen Willensbildung entsprach, zur Film-Inszenierung dessen, was die Wirklichkeits-Inszenierung vorgab. In dem Sinne ist Riefenstahls Dokumentarfilm, als Propagandafilm gedacht, ein Dokumentarfilm über die faschistische Ideologie. Erst der Film schuf jenen Reichstag, wie ihn Hitler imaginierte.

Dazu eine Sequenz: Hitler, Himmler und Lutze marschieren durch die SA und SS, die – 108000 Mann stark – zu einem Ornament anonymer körperlicher Macht geformt, bewegungslos dastehen – zum Denkmal der Gefallenen. Menschen sind in ihrer Individualität nicht mehr sichtbar, sie sind zur bedrohlichen Geometrie erstarrt. Die Sequenz wird abgelöst durch ein Ballett der Fahnen und Embleme. Es sollen 21000 Fahnen gewesen sein. Der Reichstag, als wäre er nur für den Film inszeniert worden.

5 TRIUMPH DES WILLENS II (Denkmalszene, bis Bild nach Himmler)

Gehen wir einen Schritt weiter. Hitler hielt am Nürnberger Parteitag mehrere Reden, die Sie sicher stückweise, ausschnittsweise kennen. Wir schauen uns die letzte Rede am Abend des dritten Tages an. Nehmen wir Leni Riefenstahls Ansicht ernst und beobachten wir, was sie beobachtet und zur Montage geformt hat: die Beobachtung einer Beobachtung. Die Sequenzstruktur ist Wiederholung früherer Sequenzen, das heisst auch Wiederholung vorhergehender Rituale.
Ausgeprägter als in den anderen Sequenzen ist die Handhabung der Sprache. Da der Film praktisch ohne Kommentar auskommt und von einem Ton geprägt ist, der aus Marschmusik und Rufen besteht, gewinnen die Sätze Hitlers eine erschreckende Plastizität. Er spricht die Schluss-Sentenz: "Die Partei ist Hitler – Hitler aber ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist. Hitler Sieg – Heil."

Beobachten Sie die Beobachtung. Schauen Sie Hitler an, die Gesichter und Gesten seiner Umgebung, die Gesichter in der Masse. Schauen Sie Hess, den Stellvertreter, an. Achten Sie auf die Veränderung, die im Laufe der Sequenz stattfindet. In dieser Rede, 1934 gehalten, ist die gesamte geschichtliche Zukunft antizipiert. Wenn wir uns diese Rede anhören und anschauen, können wir uns die Frage stellen, welche Sätze, welche Worte überhören wir heute? Welche Gesten übersehen wir heute? Wie ist heute unsere politische Sensibilität ausgebildet – oder eben nicht? Ich zeige die Sequenz in ihrer ganzen Länge, 10 Minuten lang.

6 TRIUMPH DES WILLENS III

TRIUMPH DES WILLENS wurde nicht nur in Deutschland ausgezeichnet. 1937 erhält der Film an der "Exposition Internationale des Arts et des Techniques" in Paris den grossen Preis. Und an der Biennale von Venedig den 1. Hauptpreis der Kategorie Dokumentarfilm.
Da die Darstellung der Wehrmacht in TRIUMPH DES WILLENS zu kurz kam, was zu unangenehmen Reaktionen der Wehrmacht führte, sah sich Leni Riefenstahl gezwungen, einen Film für das deutsche Heer zu drehen. In diesem Film mit dem Titel TAG DER FREIHEIT erfreute ein Ballett von Panzern die Zuschauer. Wie in einem Busby-Berkeley-Revue-Film wurden statt Girls Panzer choreografiert.

1936 entsteht, vom Reich finanziert, als persönlicher Auftrag des Führers: OLYMPIA – FEST DER VÖLKER, FEST DER SCHÖNHEIT. Der Film kommt 1938 in die Kinos und wird vom olympischen Komitee als der offizielle Olympia-Film anerkannt.

Mit den Filmen Leni Riefenstahls umkreisten wir die Thematik, die mit den Filmen Dsiga Wertows und Joris Ivens’ vordergründig geworden war: der Dokumentarfilm als Propaganda und Agitationsfilm. Wertow, Ivens, Riefenstahl. Ein vordergründiger Vergleich weist ihre Filme der Propaganda zu. Im ästhetischen Bereich, in der Handhabung filmischer Gestaltung sind die Unterschiede immens. Für Wertow ist die Propaganda selbst die Wirklichkeit und so versteht er den Umgang mit der filmischen Gestaltung als ein permanentes revolutionäres Experiment. Ivens macht durchaus den inszenatorischen Rekonstruktionscharakter seiner Filme deutlich. Riefenstahl schafft sich eine Ästhetik, die der Inszenierung der Macht kongruent ist.
Sie sieht sich selbst als eine Reporterin der Zeit und übersieht, was eigentlich das Verrückte an ihren Filmen ist: dass nicht der Stoff die faschistische Ideologie ausmacht, sondern wie sie den Stoff im faktischen filmegestalterischen Zugriff gemeistert hat.

Gehen wir noch auf den Olympia-Film ein. In einer Zeit, da Hitler Deutschland im Innern in den eisernen Griff eines Polizeistaates bekam und verwirklichte, was er am Nürnberger Parteitag in voller Wahrheit gesagt hatte, dass er nämlich die alleinige Macht in Deutschland zu erringen trachte – in einer Zeit, da das innere Aufbauwerk nur als Voraussetzung für die politische Expansion erkannt und deutsche Truppen in Spanien auf ihre Kriegstauglichkeit getestet wurden, lud Hitler zu den olympischen Sommerspielen nach Berlin ein.
51 Nationen sandten ihre "Jugend" 1936 zu den "Friedensspielen" – so die offizielle Sprachregulierung. Und während Hitler und seine Mitarbeiter den Zweiten Weltkrieg vorbereiteten, arbeitete Leni Riefenstahl an ihrem Olympia-Film, der schliesslich am 20. April 1938 – einen Monat vorher war Österreich ans Reich angeschlossen worden – seine Uraufführung in Berlin unter dem bezeichnenden Titel FEST DER VÖLKER UND FEST DER SCHÖNHEIT erlebte.

Wiederum baut sich hier Leni Riefenstahl ihr Missverständnis. Nicht dass sie die Spiele in Berlin dokumentierte, macht ihren Film zum Propagandafilm, sondern weil sie die olympischen Spiele ganz im Sinne Hitlers als eine friedenserhaltende Ästhetik des Sports verkündete. Dass es nicht um die Dokumentation der olympischen Spiele geht, sondern um die Darlegung einer Ideologie, in der die Ideale von Kraft und Schönheit einen neuen Menschen und eine neue Zeit zu formen haben, geht aus dem Prolog des Films hervor. Er setzt ein mit der magischen Beschwörung der Antike: das Griechenland der Heroen, der ewigen Tempel und hehren Statuen, das Griechenland der schöner Leiber, der weichen geschmeidigen Stärke. Das perikleische Zeitalter, das goldene Zeitalter, das glückliche Zeitalter der Einheit von Gott und Mensch, Kunst und Mensch.

7 OLYMPIA – FEST DER VÖLKER, FEST DER SCHÖNHEIT I

Zelebrierter Kulturkitsch, gefilmt von Willy Otto Zielke, der durch den von der Zensur verbotenen Eisenbahndokumentarfilm DAS STAHLTIER (1935) berühmt geworden war. Über Kameraschwenks und Kamerafahrten, die durch Überblendungen ineinander verwoben werden, sollte der Eindruck von Schwerelosigkeit entstehen, sodass, wie Zielke selbst formuliert, "das Irdische verloren geht" und auch die nackten Art-Déco-Frauen zum "Traum-Akt" werden. So wächst aus den Plastiken der Antike der Sportler der Gegenwart; herbe Männlichkeit gleitet über in weibliche Anmut. Die nationalsozialistische Männerpose, gegen den Himmel gerichtet und vorne Ähren deutscher Erde: So sehen auch die Bilder und Plastiken des offiziellen Kulturschaffens aus – die weich dahinfliessende Montage ist wie ein Gang durch eine nationalsozialistische Kunstausstellung, eine Collage aus WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT, Art-Déco-Kerzenständern und Monte-Verità-Bildern.

8 OLYMPIA – FEST DER VÖLKER, FEST DER SCHÖNHEIT II (Verlebendigung bis olympisches Feuer)

Bewusst wird von Leni Riefenstahl die filmische Form eingesetzt, um Sport und die Vorstellung von Film als Kunst in Einklang zu bringen – während es in Wirklichkeit darum geht, ein politisches Klima zu vermitteln, das den Führer als sportbegeisterten Biedermann darstellt, wohl deutsch-national-chauvinistisch, doch dies gehört zum Sport – ein Klima, das die Diktatur unkenntlich macht, – ein Klima, in dem das Hitlerregime von der Welt legitimiert erscheint. Die "Friedensspiele" als Legitimation Hitlers vor der Welt, dies sollte der Vorbeimarsch der Athleten und Athletinnen vor Hitler demonstrieren. Er nimmt die Parade ab und hier wird der Film dokumentarisch: Wer grüsst Hitler mit dem Faschistengruss? Griechenland, Italien, Österreich und Frankreich. Die Schweizer Delegation wird von zwei Offizieren angeführt. Aufschlussreich ist, dass diese Dokumentaraufnahmen je nach Länderkopie anders montiert sind.
Schauen wir uns im Schnellgang den Weg des olympischen Feuers an durch all die Länder, die angeschlossen oder erobert werden, um anschliessend näher auf die friedliche Parade zu schauen.

9 OLYMPIA – FEST DER VÖLKER, FEST DER SCHÖNHEIT III (Weg des Feuers, dann Endsequenz des Prologs, bis Friedenstauben)

Kehren wir zu Leni Riefenstahl zurück. Während der Kriegszeit bleiben Riefenstahls Filme in der Projektierungsphase stecken. So will sie noch 1939 einen Film über „Penthesilea“ drehen und einen über Vincent Van Gogh (1943). 1944 vermag sie endlich ihr altes Projekt TIEFLAND nach der Oper von Eugen d’Albert zu realisieren. Nach dem Krieg versucht sie die Kopie, die von der französischen Armee beschlagnahmt war, in Paris auszulösen. Lotte Eisner von der Cinémathèque ist jedoch nicht bereit, das heimliche Geschäft zu tätigen. Und wie schon gesagt, versucht dann Jean Cocteau, nachdem der Film schliesslich doch beendet werden konnte, den Film ans Festival von Cannes zu bringen.
Wie schon bei ihrem ersten Film DAS BLAUE LICHT führt Leni Riefenstahl nicht nur Regie, sondern spielt auch noch gleich die Hauptrolle. Es ist die Geschichte des Zigeunermädchens Marta, der Betteltänzerin, die durch einen despotischen, ausbeuterischen Herrn mit dem schönen Namen Don Sebastian verführt wird. Oder anders noch formuliert: Die weibliche Verführung erliegt männlicher Despotie.

10 TIEFLAND (Riefenstahl-Porträt)

Das war das Ende von Riefenstahls filmischer Karriere. DAS BLAUE LICHT und TIEFLAND bilden die Klammer für ihre Dokumentarfilme, die sie dem mächtigen Herrn, ihrem Don Sebastian, lieferte. Der Verzicht auf die Verherrlichung Hitlers in der Wochenschau geht einher mit der einsetzenden Kriegspropaganda. Ein paar Hinweise zum Film sollen aufzeigen, wie wiederum die filmische Form die Aussage zum Inhalt des Films abgibt.
In einem ersten Teil wird das deutsche Volk quasi vorgeführt. Die Kamera ist nah, lebendig, beobachtend. Die Menschen, die daherkommen, wirken locker, ungeordnet, fast chaotisch. Knappe Texthinweise interpretieren die Bilder. Die recht heitere unmittelbare Darstellung – Nahaufnahmen dominieren, der Schnitt ist recht frech, die Montage direkt und anschaulich – geht hinüber in einen mehr offiziellen Teil. Da werden bezeichnenderweise die Namen von Professor Speer, von Ministerpräsident Dr. Tiso und Freiherr von Neurath und Staatspräsident Hacha genannt. Und zwar werden nur diese Namen genannt, also die Namen jener Männer, die im Innern des Reiches die Zeichen der Macht arrangierten und nach aussen die Grenzen für Deutschlands Grösse veränderten. Doch dies ist alles nur Auftakt zur filmischen Vergegenwärtigung der Truppenparade. Zuerst fährt Hitler seine Armee ab und dann zieht sie an ihm vorbei – viereinhalb Stunden lang. Der Text verstummt. Die Kamera geht auf Totale und die Einstellungen werden länger; ruhiges, ausführliches eingehendes Betrachten des Objektes. Es setzt die Choreografie ornamentaler Truppenverschiebungen ein. Dabei werden die Armeeteile als Block gefilmt. Es sind kompakte Massen, die in Bewegung gebracht werden. Die militärische Macht demonstriert sich selbst. Wenn wir den Film im grossen Bogen vergegenwärtigen, ist es, als würde die Armee als Ordnungsmacht diese chaotische Menge deutscher Menschen, die zu Beginn des Films recht ungeordnet und lebensfreundlich erschienen, zur Menschen-Masse-Maschine formen, die nur noch darauf wartet in Bewegung gesetzt zu werden. Schon 1934 endete in Nürnberg eine Dankesadresse an Hitler mit den Worten: "Wir harren des Befehls des Führers."

Was uns im Folgenden bleibt, ist darum zu wissen, dass wir uns nicht mit der Sprache der Betroffenen befassen, sondern mit der Sprache jener, die die anderen zu Betroffenen macht.
Ich zeige Ihnen zunächst ein Beispiel: Es handelt sich um eine deutsche Wochenschau vom November 1941. Es ist eine der raffiniertesten Montagen, die mich als Zuschauer von einem zunächst Unbeteiligten, einem Zuschauenden, zu einem Mitmarschierenden macht. Soldaten ziehen in den Krieg. Sie ziehen an mir, in der Diagonale von rechts hinten nach links vorne vorbei und schauen mich an: Sie ziehen in den Krieg. Ihr Blick ist ihr Lebewohl. Dann marschieren sie von mir weg, einem unbekannten Ziel und Schicksal zu. Totale verweisen mich auf das Schlachtfeld. Die Bewegung führt von links nach rechts. Also befinden wir uns an der Ostfront. Im Folgenden wird die Distanz zwischen dem Geschehen und mir als Zuschauer abgebaut. Über Änderung in der Blickrichtung, über Verschiebung der Schiessrichtung der Kanonen – ich selbst stehe schliesslich hinter der Kanone – und über Kreisbewegungen der Kanonen und der rollenden Panzer werde ich als Zuschauer in das Geschehen einbezogen, so dass ich schliesslich, in den grossen Verband der Kämpfenden aufgenommen, mitgenommen werde und mitmarschiere, mitrolle an die Ostfront. Durch die behutsame Verschiebung der Bildachse wird der Zuschauer über die kühle Beobachtung hinweg dermassen einbezogen, dass er schliesslich auf den Feldzug mitgenommen wird.

Diese Ufa-Wochenschau vom November 1941 ist eines der besten Beispiele, wie die Handhabung der filmischen Form gleichsam dokumentarisch für das einsteht, was der Inhalt besagen will.

11 Ufa-Wochenschau, November 1941: Zur Ostfront, 1 Min. 20 Sek., B

Filmografie

DAS BLAUE LICHT (D 1932) R: Leni Riefenstahl, B: Béla Balázs, nach einer Idee von Leni Riefenstahl, P: Sokal, K: Hans Schneeberger, M: Giuseppe Becce, D: Leni Riefenstahl, Mathias Wieman, Beni Führer, Max Holzboer, Franz Maldeca.

DER HEILIGE BERG (D 1926) R, B: Arnold Fanck, P: Ufa-Film, K: Sepp Allgeier, Hjalmar Lerski, Hans Schneeberger, M: Edmund Meisel, D: Leni Riefenstahl, Luis Trenker

OLYMPIA, Teil 1: FEST DER VÖLKER, Teil 2: FEST DER SCHÖNHEIT (D 1938) R: Leni Riefenstahl, P: Olympia-Film GmbH, K: 45 verschiedene Kameraleute, M: Herbert Windt, Walter Gronostay.

SIEG DES GLAUBENS (D 1933) R: Leni Riefenstahl.

TIEFLAND (D 1940, 1953 vollendet) R, B: Leni Riefenstahl nach der gleichnamigen Oper von Eugen d'Albert, P: Leni Riefenstahl für Tobis-Film, K: Albert Benitz, M: Giuseppe Becce, unter Verwendung der Melodien von Eugen d'Albert.

Weiterführende Informationen

Title

Teaser text