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Dr. des. Kristina Köhler
Referent: Prof. Dr. Jörg Schweinitz
Seit seinen Anfängen ist das Filmmedium eng mit dem Tanz verbunden. So beschreibt bereits Thomas A. Edison das von ihm entwickelte Kinetoskop in den 1890er Jahren als Apparatur, die «tanzende Bilder» hervorbringt; spätestens seit den 1910er Jahren greifen Filmtheoretiker auf tänzerische Begriffe und Analogien zurück, um diese auch auf genuin filmische Bewegungsphänomene wie zum Beispiel die Kamerabewegungen oder die Montage zu beziehen. Mit der Rekonstruktion und Analyse dieser Diskurs- und Ästhetikgeschichte des «tänzerischen» Films leistet das Dissertationsprojekt erstmals eine systematische Aufarbeitung der historischen Wechselbeziehungen von Tanz und Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts; zugleich problematisiert es diese historischen Entwürfe des Filmmediums vor dem Hintergrund der sich um 1900 wandelnden Bewegungs- und Körperkonzepte der Moderne.
Über eine verdichtende, metatheoretische Lektüre früher Filmtheorien ist zunächst zu untersuchen, wie sich Konzepte aus dem Umfeld des Tanzes als facettenreiche Theoriemetaphern in die Reflexionsgeschichte des Films einschreiben. Dabei ist einerseits zu fragen, welche Vorstellungen von «Tanz» evoziert werden und wie diese durch die konzeptuellen Übertragungen auf das Filmmedium anverwandelt, verschoben oder erweitert werden. Der analytische Fokus der Arbeit liegt andererseits auf der Herausarbeitung charakteristischer Bewegungs- und Körperkonzepte, mithilfe derer die bislang zumeist suggestiv evozierten Affinitäten von Tanz und Film erstmals systematisch erfasst werden können. Mit Hilfe dieser Bewegungs- und Körperfiguren lässt sich die Analogisierung von Film als Tanz schliesslich auch filmanalytisch wenden und an einem Korpus historischer Filmen aus Archivbeständen analysieren, wie sich ‹tänzerische› Bewegungs- und Körpervorstellungen auch auf spezifisch filmische Weise in Filmen der Zeit manifestieren. Dabei handelt es sich einerseits um Filme, die Tanzszenen in ihrer Bildwelt inszenieren, wie auch solche, die sich unabhängig vom gefilmten Gegenstand Tanz über den Einsatz der visuellen Mittel (wie Kamerabewegungen oder Montage) als ‹tänzerisch› zur Schau stellen.
Ziel des Projektes ist es zum einen, mit der Tanz- und Körperkultur um 1900 einen bisher kaum erforschten Kontext der frühen Film- und Kinogeschichte zu erschliessen und aufzuzeigen, wie Vorstellungen des Tänzerischen die Wahrnehmung und Erfahrung filmischer Bewegtbilder zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerahmt haben. Die Analyse dieser Diskurs- und Ästhetikgeschichte bis in die 1930er Jahre stellt die Rede vom Tänzerischen zudem als medientheoretische Reflexionsfigur des Films heraus, die das Medium auf ambivalente Weise in das Spannungsfeld von Kunst, medialen Apparaturen und ästhetisch-körperlichen Erfahrungen einträgt. Die theoriegeschichtliche Perspektive ermöglicht schliesslich auch, an aktuelle Fragestellungen der Film- und Medientheorie anzuschliessen und kritisch zu reflektieren, inwiefern die filmtheoretische Rede vom Tänzerischen bereits grundlegende Fragestellungen zum Verhältnis von medialen Technologien und Körperlichkeit im Kern vorformuliert. So lässt sich die Diskursgeschichte des tänzerischen Films als früher Aushandlungsort einer theoretischen Modellierung von Film lesen, die – ganz ähnlich wie aktuelle filmtheoretische Ansätze unter Begriffen wie Ereignis, Performativität und Körperlichkeit – unterstreicht, dass die Wahrnehmung von Filmen nicht nur kognitive und visuelle Fähigkeiten voraussetzt, sondern den Zuschauer insbesondere auch über sinnlich-kinästhetische Bewegungs- und Körperprozesse adressiert.