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Seminar für Filmwissenschaft

Inhärente Vitalität der Materie – Perspektiven auf einen erweiterten Animationsbegriff über die Entdeckung molekularer Bewegung

Vera Schamal, M.A.
Referentin: Prof. Dr. Fabienne Liptay

Die gängige Auffassung der Animation als Verlebendigung – das vom Animationsforscher Thomas Lamarre so bezeichnete und kritisierte illusion-of-life paradigm – greift für viele Formen der Animationskunst kurz, etwa für abstrakte Werke, Filme ohne (handelnde) Figuren und ohne einen Plot im engeren Sinne. Das Paradigma erweist sich auch als unzureichend im Hinblick auf Beispiele, in welchen Daten visualisiert werden oder eine Idee oder Theorie durch animierte Bilder nicht eigentlich «in Bewegung versetzt» wird, sondern wo die in den Daten, Ideen oder Theorien bereits immanenten Bewegungen in bewegte Bilder übertragen werden. Eine prüfende Haltung gegenüber der bisherigen Animationsforschung wird in diesem Dissertationsprojekt angesichts solcher zeitgenössischen Werke eingenommen, die sich mit natürlichen Phänomenen auseinandersetzen, indem sie gemäss Naturgesetzen programmiert sind, Ergebnisse quantitativer Datenerhebung visuell verarbeiten und besonders auch Beispiele, die sich auf einer konzeptionellen Ebene mit Naturgesetzen, naturwissenschaftlichen Hypothesen oder der Praxis der Theoriebildung selbst befassen. Es wird der Anstoss berücksichtigt wird, den zeitgenössische Werke auf Ansätze der Animation Studies bewirken es wird ausserdem gezeigt – in gewissermassen historisch umgekehrter Richtung –, wie Konzepte aus den Naturwissenschaften den Impetus stützen können, scheinbar geschlossene Kapitel der Animationstheorie wieder zu öffnen. Die Idee dahinter ist es, einen Animationsbegriff zu erarbeiten, der nicht von einer Hinzufügung von Bewegung zum Stillstand ausgeht, sprich die Animation nicht auf die Belebung von Unbelebtem reduziert. Es wird hingegen versucht, die Animation als einen Vorgang zu konzeptualisieren, der Lebendigkeit eher vorfindet als hinzufügt.

Die Entdeckung, Erforschung und Theoretisierung der sogenannten molekularen Realität durch Physik und Chemie bieten diesbezüglich ein besonders qualifiziertes Feld naturwissenschaftlicher Diskurse, dessen wesentlichste Ereignisdaten ab Ende der 1820er Jahre und bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein verzeichnet werden – wesentliche Eckdaten auch für die Entwicklung der Fotografie und des Films. Die Diskurse dieses epistemischen Gebiets und die dort gewonnenen Erkenntnisse erweisen sich insofern als produktiv, als sie sich mit einer unerwarteten Bewegung und deren Beobachtung sowie Interpretation befassen, mit der Idee einer Diskontinuität der Materie und schliesslich mit den Spannungsverhältnissen zwischen Sichtbarkeit und Spekulation, Empirie und Theorie. Der Bogen, der zwischen diesen historischen wissenschaftlichen Debatten und zeitgenössischen Werken geschlagen wird, stützt sich auf vielfache, produktive Korrespondenzen, wobei der Animationsfilm im Kontext gegenwärtiger visueller Kultur und zugleich als residuales Zeichen für ein epistemisches Paradigma betrachtet wird, das wesentlich auf Beobachtung, Versuch und der imaginativen Annäherung an Sachverhalte durch Hypothesen und Theorien fusst. Die Korrespondenzen schliessen unter anderem Folgendes ein: Die Modi von Spekulation und Imagination, die epistemologische Problematik der Sichtbarkeit und Beobachtbarkeit, die Vorstellung einer Diskontinuität der Materie, erfassbar durch eine Methode, die ebenfalls auf Diskontinuität beruht, d.h. mit (Mess-)Intervallen operiert, die Bewegung im scheinbaren Stillstand. In der Auseinandersetzung mit diesen Korrespondenzen wird ein Animationsbegriff entwickelt, welcher der Potenzialität der Animation Rechnung trägt, statt diese auf einen Mechanismus von Mangel und Ersatz (von Bewegung) zu reduzieren.

Weiterführende Informationen

Magnetic Movie (Ruth Jarman, Joe Gerhardt, USA/UK 2007)

Bilder potenzieller Bewegung – Animationen zwischen Abstraktion und Konkretisierung

Magnetismus als dynamisches Spektakel: Das Zusammenspiel von Dokumentation, Datenvisuali­sierung und gestalterischer Freiheit in MAGNETIC MOVIE (Ruth Jarman, Joe Gerhardt, USA/UK 2007).