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Seminar für Filmwissenschaft

Das kinematographische Staunen

Katarzyna Włoszczyńska, M.A.

Das kinematographische Staunen ist ein Neologismus, den mein Projekt anbietet; es ist eine These, die die Struktur der kinematographischen Wahrnehmung zu bestimmen sucht; und es ist eine Ambition, eine neu perspektivierte Antwort zu geben auf die Frage nach den Relationen und Wirkkräften, die Kino ausmachen. 

Wie von der Filmtheorie vielfach beschrieben, ist die kinematographische Wahrnehmung gekennzeichnet durch die Dopplung des Blicks von Mensch und Kamera-/Projektionsdispositiv. Es kann argumentiert werden, dass diesem komplexen anthropomedialen Beziehungsgefüge eine Struktur des Staunens zugrunde liegt: Zwischen eigener und fremder Wahrnehmung oszillierend ist der Vollzugsmodus der Kinoerfahrung (in Rezeption wie Produktion) der einer mittleren Fremdheit, die dem Phänomen des Staunens im Allgemeinen zu eigen ist. Sie schließt eine Ausweitungstendenz des Eigenen auf das verwandte Andere in der kinematographischen Adressierungsgeste ein und entwickelt in der Unauflösbarkeit in das eine oder das andere Sehen eine Spannung, die ein Weiter-so-sehen-wollen motiviert. Das Staunen wird damit sowohl zum Movens für das Aufrechterhalten des individuellen, menschlich-apparativen Wahrnehmungsvollzugs, also jener Praxis, der es selbst entspringt, als auch zum Agens in der Fortentwicklung seines kreativen Feldes über die Zeit. In diesem autopoietischen Potential zeigt das kinematographische Staunen (was seine Benennung noch einmal legitimiert) eine Strukturähnlichkeit mit der diskursprägenden Bestimmung des Staunensbegriffs in der antiken Philosophie, während es sich in seiner Selbstzweckhaftigkeit gleichzeitig von dieser entfernt und Phänomenen ästhetischer Aufmerksamkeit annähert.

Die Leitthese vom Staunen als Vollzugsmodus und Gelingensbedingung von Kino wird zum einen in der Filmphänomenologie und der Medienanthropologie, zum anderen in der Filmtheoriegeschichte fundiert, um sie nachfolgend in einen Dialog mit den philosophischen und den ästhetisch-poetologischen Staunensdiskursen zu bringen. In dieser Gegenüberstellung kann das vorgeschlagene Konzept des kinematographischen Staunens seine Eigenständigkeit behaupten, insofern es sich als staunensspezifische Natur der Filmerfahrung einerseits und medienspezifische Form des Staunens andererseits zu positionieren vermag. Mit diesem Befund hofft mein Projekt einen produktiven Beitrag zu aktuellen Debatten sowohl in der Filmwissenschaft als auch in der Staunensforschung zu leisten.