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»I have seen a million pictures of my face and still have no idea.« So bestimmt die norwegisch-nigerianische Künstlerin Frida Orupabo ihre jüngst im Fotomuseum Winterthur ausgestellte Materialsammlung von Bildern, aus der keine homogene Ansicht entstehen will. Ihr Bild wird vielmehr aus eindimensionalen Repräsentationen herausgelöst und ihm wird Komplexität, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit zugestanden. Diese Blickposition steht im Kontrast zu dem, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts als »Ansicht« formatiert wurde. Ziel der Tagung ist es, jenseits der »Ansicht« zu forschen und die Erschütterung jener für die Filmwissenschaft so grundlegenden Blickposition zu thematisieren. Das hat eine historische Dimension: Schon im 19. Jahrhundert finden sich Bildforschungen (Bildatlanten, Fotoskulpturen, Modellierungen), die eher von Points of View (Galloway) ausgingen als von einer festen Blickposition. Mittlerweile ist die »Ästhetik der Ansicht« technisch durch die Entstehung multipler Bilderformen und sozialgeschichtlich durch dekoloniale Interventionen herausgefordert. Die beweglichen Rund- und Umkehrblicke, die im Rahmen der Tagung verhandelt werden, stehen in vielfältigen Beziehungen zu diesen anderen Ansichten.
Da die Ansicht wortgeschichtlich sowohl das Anschauen als auch das Angeschautwerden impliziert, geht die Revision der Ansicht eher von einem Nicht-Anschauen und Nicht-Angeschaut werden wollen bzw. können aus. Dabei tritt möglicherweise der Akt des Zusammensetzens vor den Akt des Sehens. Das Ende einer Ästhetik der Ansicht hätte dabei technikgeschichtlich mit dem vermehrten Zusammenschichten von Bildern zu einem instabilen Objekt zu tun. Fünf Kategorien für diese neue Instabilität schlagen wir vor: 1. Multiplizität von Blicken (nach der Ansicht kommt die »Vielsicht«), 2. andere Raumordnungen (z.B. zirkulär – nicht bühnenhaft, zentralperspektivisch), 3. Prozessualität (das Bild ist in komplexe kooperative Prozesse eingebunden), 4. Skulpturalität (das Bildprodukt ist eher ein dreidimensionales Objekt, nicht ein flaches Bild), 5. Verzicht auf Komplexitätsreduktion (der Abstraktions- und Komplexitätsgrad der Bilder nimmt bis zur Unschärfe hin zu; synthetische, ‚gesteigerte‘ Bilder).
Fragen der Tagung lauten: Wie lässt sich ein Abschied von der Ansicht materialnah nachvollziehen? Welche Folgen hat die Dezentrierung des Blicks für die Filmtheorie und -geschichte? Während Gunning die hervorgehobene Präsenz der Kamera vorausgesetzt, gibt es heute quasi kein jenseits der Kamera mehr – welche Konsequenzen hat diese Ubiquität der Bilder? Welche ästhetische Modellbildung ergibt sich, wenn es weniger ums Aufzeichnen als ums Berechnen, Zusammensetzen, Synthetisieren oder Modellieren geht? Wie entsteht aus einer Bildtechnologie etwas, das möglicherweise kein Bild mehr ist? Wenn wir es mit einem Verschwinden z.B. der Ansichtskarte, aber mit der Entstehung multipler Bildformen (etwa auf Instagram) zu tun haben, welche Folgen hat ein solcher Zerfall einer festeren Blickstruktur? Wie fordert dies Paradigmen der Filmgeschichte heraus, etwa Harun Farockis letzte Frage an Alexander Galloway: Löst Navigation die Montage als dominantes Prinzip visueller Gestaltung ab?
Konzept: Pascal Maslon, Volker Pantenburg, Caroline Schöbi, Linda Waack
Anmeldung: pascal.maslon@uzh.ch
Universität Zürich
KOL-E-13 EV Senatszimmer
Rämistrasse 71, 8006 Zürich
vorab | Frühstückskaffee |
10:00–13:00 |
Doktorierenden-Workshop Ökologien des Films im Anthropozän (Petra Löffler, Oldenburg) |
ab 15:00 | Ankunft, Willkommenskaffee |
15:45 |
Einführung Pascal Maslon, Caroline Schöbi, Linda Waack |
16:00–17:00 |
Zerfall (De-)Compos(t)ing the Cinematic Image (Petra Löffler, Oldenburg) Cyanotypie und Mikroskopie. Bilder schichten in Helena Wittmanns Human Flowers of Flesh (Simone Winkler, Zürich) |
17:00–17:15 | Pause |
17:15–18:15 |
Aggregat »dissolving views« | aufgelöste Ansichten (Michel Diester, Paderborn) Erschliessung v. Relativierung. Filmästhetische Wahrnehmungsordnungen bei Béla Balázs und Jean Epstein (Ulrike Wirth, Weimar) |
18:15–18:45 | Pause |
18:45–19:45 |
Sensorik Instabile Aufsicht – Flug- & Drohnenaufnahmen im Dokumentarfilm (Tina Kaiser, Marburg) Instabile Reiseansichten: Mobile Aufnahmen mit der GoPro (Karina Kirsten, Siegen) |
ab 20:15 | Abendessen |
Universität Zürich
KOL-H-317
Rämistrasse 71, 8006 Zürich
ab 09:30 | Frühstückskaffee |
10:00–12:00 |
Navigation Aufschaltung – Fernsehen durch Plexiglas (Kerim Doğruel, Frankfurt am Main) Umwelt – Bildwelt – Komposit (Emanuel Welinder, Basel) The Scopic Regime of Computation: From Rough Waters to Computable Grids (Bernard Geoghegan, London) |
12:00–14:00 | Mittagessen |
14:00–15:30 |
Evidenz Ansicht, Einsicht, Evidenz. Audiovisuelle Begriffsarbeit bei Forensic Architecture (Anna Polze, Bochum) Farocki in vier Bildern (Pascal Maslon, Zürich) Filmproduktion als Fotoessay (Theodor Frisorger, Köln) |
15:30–16:00 |
Pause |
16:00–17:00 |
Überschuss Verteilt und instabil: Material Agency in künstlerischen Fehlversuchen (Vera Schamal, Zürich) Zwischen Zeigen und Präsentieren: Un/sichtbare Kommunikationsräume in neuen Formen des Dokumentarischen (Florian Krautkrämer, Luzern) |
17:00–17:30 |
Abschluss, Abschied |
im Anschluss | Apéro riche |