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Seminar für Filmwissenschaft

Glimpses of Beauty – Zum 100. Geburtstag von Jonas Mekas

In Kooperation mit dem Seminar für Filmwissenschaft sowie der Universität der Künste Berlin fand am 04.12.2022 im Filmpodium ein langer Sonntag zum filmischen Schaffen Jonas Mekas’ statt. Anlässlich seines 100. Geburtstags wurden zwei Tagebuchfilme von Mekas gezeigt. Thomas Imbach, Eva Vitija, Eva Kuhn und Volker Pantenburg teilten mit ihren «Glimpses» (Mini-Reflexionen zu Beginn der Filme) ihren ganz eigenen Blick auf Jonas Mekas' Werk. Ebenso war der in Venedig ausgezeichnete Dokumentarfilm Fragments of Paradise in Schweizer Premiere zu sehen.

„As Dostoyevsky said, we are alive in the glimpses, seconds, when souls really speak, really meet, really see.“ (Mekas)

Eva Kuhn: 100 Jahre Jonas Mekas

In einem Interview für die FAZ meinte Jonas Mekas mal: «Ich kannte Andy – Andy Warhol – gut. Er sagte auf so gut wie alle Dinge immer JA JA JA». Im Titel des Filmes, den wir gleich sehen werden, betont Jonas Mekas dreimal einen Verlust: LOST LOST LOST. Verloren hat er seine Kindheit – wie wir alle – verloren hat er seine Heimat, verloren haben wir das Paradies. Die Bejahung, die aktive Anerkennung dieses – so lehren Mekas Filme für das – ist die Bedingung für die Entdeckung des Glücks, das nicht damals war, nicht dann-mal-sein wird, nicht dort drüben, oder gar im Jenseits liegt, – sich vielmehr in der Gegenwart, im Hier und Jetzt ereignet, aus dem Alltag oder Feiertag ergriffen werden kann, im Flüchtigen, im Kleinen, Feinen, Zwischenmenschlichen stattfindet, auf einem Spaziergang durch den Park, in der Begegnung mit einer streunenden Katze.

Quer dazu ein Haiku – ein japanisches Gedicht in drei Zeilen – von Yonamata Bashô:

Der Winterwind weht
Die Augen der Katzen
Blinzeln 

Das Glück fällt mitten aus dem Leben zu – in kleinen Stückchen, in Fragmenten, wenn man die Wahrnehmung, die Sinne dafür aktiv und unermüdlich kultiviert. Mekas findet – das Glück – erfindet es mit seiner Kamera, indem er die mediale Eigenschaft der Kamera, sich auf das, was Draussen ist und auf die Gegenwart zu fokussieren, durch eine eigene filmische Handschrift intensiviert – das Hier und Jetzt durch Schillern, Flickern, Glänzen, Blinzeln zu einem sinnlichen Ereignis werden lässt. Dieses filmische Verfahren besteht darin, die Filmbilder – die Frames – einzeln zu tippen und auf diese Weise zwischen den Bildern ein Intervall zu erzeugen. Sein Freund Ken Jacobs meinte: «You knew when Jonas was around by the clicks, the indefatigable Mekas finger – 24 squeezes per screen second.» 

Für Mekas’ Auffassung des Glücks ist entscheidend, dass es sich vor dem Hintergrund einer radikalen Zeitlichkeit abzeichnet, vor dem Hintergrund einer zerrütteten Gesellschaft und einer Welt, die am Abgrund steht. Mekas ist alles andere als einer, der die Welt schönredet. Er hat Düsteres erlebt, wie seine Filme spüren lassen. Mit einer lebenslangen Zelebrierung der «Glimpses of Beauty» hält er dem entgegen als seine Form des Widerstands. «This is a political film» wird es in AS I WAS MOVING AHEAD... immer wieder heißen. 

Der Film LOST LOST LOST, den wir gleich sehen werden, wird bestimmt durch eine grosse zeitliche Klammer: Siebenundzwanzig Jahre liegen zwischen dem Zeitpunkt der ersten Aufnahme dieses Films und seinem Erscheinen im Jahre 1976. Das Footage, aus dem sich der Film zusammensetzt, fusst in den Jahren 1949 bis 1963 und impliziert den allerersten filmischen Eintrag – ein Selfie, das Jonas Mekas und sein Bruder, kurz nach ihrer Ankunft in New York, mit einer geliehenen 16mm-Bolex-Kamera aufgenommen haben. Damals wohnten die beiden Flüchtlinge, gemeinsam mit anderen litauischen Exilanten in Williamsburg, Brooklyn. 

Rückblickend erscheint dieses Selfie aus dem Jahre 1949 als initiatorischer Akt: «Here We Are!» Durch den ersten Tastendruck zementiert wird der biografische Riss, der Jonas Mekas und seinen Bruder von ihrer unverfilmten Kindheit in ihrer Heimat, einem ländlichen, von maschineller Technik noch kaum heimgesuchten und durch die Unumkehrbarkeit der Zeit für immer verlorenen Litauen trennt. Und markiert wird der Auftakt zu ihrem neuen Leben mit der Kamera, in und angesichts der modernen Grossstadt im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. 

Der Film LOST LOST LOST zeugt von der Ankunft der beiden Brüder und ihrem zerrissenen Dasein als Exilanten in der litauischen Community, und wir sehen, wie die beiden nach Manhattan ziehen und schliesslich rund um Film und Kino Glück und eine neue Heimat finden. Zum Zeitpunkt der Postproduktion und Edition des Films – im Jahre 1976 – war Mekas längst im pochenden Herzen des New Yorker Undergrounds angekommen und hat sich mit seinen zahlreichen Aktivitäten und Initiativen für ein alternatives, persönliches Kino als unentbehrliche Akteur etabliert. Aus diesem etablierten Ort in seinem Leben adressiert er uns in LOST LOST LOST mit seiner unverwechselbaren Stimme im Voice-Over. 

LOST LOST LOST unterscheidet sich von Mekas erstem Tagebuchfilm WALDEN und seinen späteren Tagebuchfilmen dadurch, dass er ein klares Narrativ, eine gerichtete Entwicklung verfolgt – die Entwicklung vom einsamen Flüchtling zum sozial integrierten Filmemacher. Diese autobiografische Erzählung verzahnt sich auf raffinierte Weise mit einer Entwicklung, die sich in der filmischen Sprache, im Style, in der Gestaltung des Materials selbst abzeichnet. Dafür ist entscheidend, dass das filmische Material, das Mekas in diesen Film integriert hat, nicht mit der Intention dieses Films entstanden ist. Die visuelle Spur stammt aus Zeiten und Zusammenhängen, in denen Mekas andere Pläne und Projekte hatte oder auch keine Pläne – gefilmt hat, um mit seiner Bolex-Kamera in Kontakt zu kommen, in Kontakt zu bleiben und seine Umgebung filmisch anzueignen.  

Die autobiografische Erzählung von der Immigration und Integration in einem neuen Land geht in LOST LOST LOST einher mit der Entwicklung seiner persönlichen filmischen Handschrift, die Gegenwartseffekte produziert und die Leichtigkeit des Augenblicks betont. Zugleich – und damit verschränkt – stellt sich in der stilistischen Entwicklung ein Stück Filmgeschichte dar. Der (konstruierte) Höhepunkt dieser Geschichte ist die Gruppierung der Coop-Gemeinschaft, und damit in Verbindung, die Entdeckung und Erfindung einer neuen Möglichkeit von Kino, die das Vertrauen in das Persönliche an oberste Stelle setzt. Wie Jonas Mekas dieses New American Cinema konzipiert – als eine gemeinschaftliche Form des kinematografischen Handelns und Verhandelns in der Gegenwart, als kollektiv gelebte Alternative zur kapitalistisch arbeitsteilig strukturierten Produktionsform – wird im Laufe dieses Filmes lesbar. Als visuelle Form, die weder den Profi noch den Auteur, vielmehr den Amateur – den mit Maya Deren: Liebenden – zum zentralen Akteur macht.

Thomas Imbach: A Jonas Mekas style bow

Volker Pantenburg: AS I WAS MOVING AHEAD – Another Glimpse

Jonas Mekas ist am 24.12. geboren (wobei diese weitverbreitete Information offenbar falsch ist, die Geburtsurkunde verzeichnet den 23.12.). Gleich im folgenden Jahr, 1923, brachte Kodak das 16mm-Format auf den Markt – Kameras, Filmmaterial, Projektoren. Nicht das erste, aber das auf lange Sicht erfolgreichste Schmalfilmformat.

Üblicherweise lernen Kinder im Alter von 1 bis 2 Jahren zu gehen. Sie setzen ein Bein vor das andere, ziemlich wackelig zunächst, dann immer sicherer und selbstbewusster, und erschließen sich ihre unmittelbare Umgebung. Eine erstaunliche Ausweitung des Radius findet statt, die potenziell unendliche Erweiterung (und zugleich Relativierung) des eigenen Standpunkts durch die Bewegung der Füße und Beine.

Auch Jonas Mekas, nehme ich an, fing – wie die meisten anderen Einjährigen – 1923 an zu laufen und begann die Gegend in und um Semeniškiai in Litauen zu erkunden. Einen Schritt nach dem anderen, wackelig zunächst, dann immer sicherer und selbstbewusster. Genau zeitgleich entstand 16mm-Film, diese neue, mobilere Möglichkeit, sich zu artikulieren und den Wahrnehmungsradius zu vergrößern. Vielleicht kann man es sich so vorstellen, dass Mekas dadurch, und vor allem durch das Schweizer Qualitäts-Unternehmen Bolex-Paillard, gegründet 1925 in Sainte-Croix im Waadtland, ein zusätzliches Körperteil wuchs, ohne dass er zu diesem Zeitpunkt davon wissen konnte. Die Kamera: nicht nur eine Erweiterung des Seh-Sinns, sondern auch der Beine und Arme. Wenige Filmemacher haben ein so körperliches Verhältnis zur Kamera gefunden wie Mekas.

Im Titel des langen, sehr langen Films, den wir gleich sehen werden, kommt beides zusammen: Das Sehen und das Gehen: As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty. Der Film ist lang, aber gemessen an der immensen Lebenszeit, die er zu 288 Minuten verdichtet, ist er extrem kurz. Eigentlich ist das nur ein Wimpernschlag, ein kurzer Glimpse.

Um mir den Film für die heutige Kinovorführung aufzusparen, habe ich mir vor ein paar Tagen nur eine einzige Minute näher angesehen. Mekas ist am 24.12. geboren, daher wählte ich die Zeit von 24:00 bis 25:00 – Christmas Eve. Der Zufall spielt eine große Rolle für Mekas‘ Arbeit. Vielleicht ist «Chance» die kleine Schwester von «Glimpse». Welche Glimpses begegnen mir in dieser Minute, einer von 288?

Wir springen mitten hinein in eine Karussellfahrt, die ganze Minute wird von Jahrmarktsmusik untermalt. Frühes Kino, Kino der Attraktionen. Ein paar Überblendungen weiter – Blätter, im Unterholz hockende Kinder, eine auf der Lauer hockende Katze, sind wir im Wald. Ein Zwischentitel sagt «Real Life», und jetzt ist die Bolex auf Mekas selbst gerichtet, der an einem Fenster sitzt. Er wartet, und wenn meine Vermutung richtig ist, wartet er so lange, bis der letzte Zipfel der 16mm-Rolle belichtet ist, denn das Material bricht ab, Sonne fällt in das Gehäuse und lässt die Bilder rötlich strahlen.

Wald, Bäume im Schnee, ein schneller Schwenk. Hektisches Bunt, eine Großstadt, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann sitzt ein Kind, ein vielleicht elf- oder zwölfjähriges Mädchen (vermutlich die Tochter Oona) am Tisch und schmiert sich ein Brot. Wie alt mag das Mädchen jetzt sein, im Dezember 2022? Lebt es noch? Wenn ja, wo? Ich bin mir sicher, dass es sich nicht mehr an diesen Moment erinnern kann, aber Mekas hat die kurze Alltagsszene für immer aufbewahrt. Auf dem gleichen Tisch steht eine Schale mit Äpfeln und Birnen, die nun plötzlich in Großaufnahme zu sehen sind. Die Komposition erinnert frappierend an klassische Stillebenmalerei, ein kurzes Nicken in Richtung Kunstgeschichte, aber sofort erfolgt ein Schnitt (in der Kamera) auf Pan Cakes in der Bratpfanne – die Kunstgeschichte und der Alltag, das sind zwei Seiten einer Medaille, kein High und Low, sondern einfach nur «Real Life». Kunst als Grundnahrungsmittel.

Wieder ein paar flackernde, flickernde Kürzesteinstellungen später sind wir im Museum. Ein Kind, deutlich kleiner, tapert vorsichtig eine Treppe herab. Im Hintergrund ein großes buntes Gemälde, vielleicht von Frank Stella? Eher nicht. Mit diesem Kind, das ungefähr so alt ist wie Jonas Mekas, als das 16mm-Material auf den Markt kam, endet die Minute.

60 randvolle Sekunden, sie bersten aus allen Nähten. Wie das Karussel, mit dem die Minute einsetzte, sind hier Energien und in alle Richtungen strebende Fliehkräfte am Werk, die vor allem durch Mekas selbst, das «I» (Groß I) und das «eye» (e-y-e) des Films, im Zaum gehalten werden.

Im Titel des Films kommt das Ich vor – As I Was Moving Ahead. Mekas ist ohne Frage einer der Protagonisten eines „Kinos in der ersten Person Singular“. Allerdings ist es eine vertrackte Sache mit dem „Ich“ im Kino. Natürlich gibt es Tagebuchfilme, Brieffilme, Familienfilme, in denen das Subjekt im Zentrum steht. Aber ein Satz wie «Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen» ist unverfilmbar, nicht nur aufgrund seiner Zeitform, sondern auch wegen des «Ich». Auch der schöne erste Satz in Chantal Akermans Roman Meine Mutter lacht, übersetzt von Claudia Steinitz, könnte nur indirekt, etwa als Voice-Over, zum Film werden: «Ich habe das alles geschrieben, und nun mag ich nicht mehr, was ich geschrieben habe.» Akerman war Anfang der 1970er Jahre in New York, der Besuch der Anthology Film Archives war ein Schlüsselerlebnis für sie. «Ich fühle mich Jonas Mekas näher als Michael Snow», hat sie gesagt. «Er stammt aus Litauen, hat eine Exilgeschichte, mehr als der großbürgerliche Snow, den ich natürlich trotzdem liebe.»

Man kann das Ich umspielen, im Text auf der Tonspur mit ins Spiel bringen oder als POV-Shot, im deutschen meist «subjektive Kamera» genannt, filmisch artikulieren. Es bleibt allerdings immer etwas anderes als das literarische, wortsprachliche Ich. Mekas filmt seine Freundinnen und Freunde, er filmt seine Umgebung, er filmt häufig, wie auch in Minute 25, sich selbst. In Minuten 25 sehen wir (oder ahnen), wie er zunächst den Selbstauslöser der Bolex drückt, um dann vor der Kamera zu sitzen. Er ist das gefilmte ich, nicht das filmende. In diesen zirkulären Bewegungen um das Subjekt herum steckt eine grundsätzliche Einsicht in das, was Film kann und wo seine Grenzen sind. Das Ich, in diesem Fall Mekas, ist immer nur als Summe von Verbindungen, als soziale Größe und in Relation zu den Orten – hier: der Stadt New York – als Menschen, Ereignissen greifbar. Man kann sich ihm annähern, auch filmisch, aber das dauert ein Leben lang, nicht nur fünf Stunden.

Eva Vitija: Jonas Mekas – ein «Glimpse»

«I have never been able to figure out where my life begins or where it ends. I have never, never been able to figure it all out, what it's all about, what it all means.
(...)
 Same as I never understood life around me. The real life as they say. Or the real people. I never understood them. I still don't understand them. And I do not want to understand them.»

Das sagt Jonas Mekas am Anfang seines Films As I was moving ahead, occasionally I saw brief glimpses of beauty.

Ich war nie fähig, mich als Filmemacherin zu verstehen und mich einzureihen in eine Generation an Filmemachern vor mir, in deren Tradition ich irgendwie stehen würde, in deren Windschatten ich segle. Ich weiss nicht, ob es daran liegt, dass ich eine Frau bin oder eine Schweizerin. Wir haben hier keine sehr lange Tradition, wir Filmemacherinnen.

Deswegen bin ich erstmal erschrocken, als von Nicole Reinhard vom Filmpodium die Anfrage kam, ich könnte etwas zu Jonas Mekas sagen. Ich war gerade daran, Äpfel zu kaufen aus einer riesigen Hof-Gemüse und Früchte-Maschine auf einem Bauernhof. Man kann dort Gemüse aus Fächern nehmen. wenn man den Automaten mit Münz füttert.

Nach dem ersten Schreck habe ich zugesagt, obwohl ich Mekas zu wenig kenne. Sie haben also keine Mekas-Expertin vor sich. Und keine Filmemacherin. Aber ich bin aufgewachsen mit Kameras. Genau so, als wäre ich ständig wie seine Tochter Oona gefilmt worden. Und als wäre Jonas Mekas mein Vater gewesen. Irgendwie sind wir also doch verwandt.

Mekas

Aber auch Jonas Mekas war nicht immer «The Man With the Movie Camera». Ich bin froh, dass er – im Gegensatz zu mir – noch ohne Kamera aufgewachsen ist. Denn bis er die Kamera entdeckt, schreibt er. Er entdeckt die Kamera nach seiner Emigration in die USA, in New York.

Deswegen möchte ich kurz vorlesen, wie die Entdeckung von New York für ihn war. Es sind Stellen aus seinem Buch «I had nowhere to go» über seine Jahre als Zwangsarbeiter in Deutschland und seine Zeit als Displaced Person bevor er nach Amerika auswandert.

Mekas

«Yesterday, about 10 PM the General Howzee pulled into the Hudson River. We stood on the deck and we stared. 1352 Displaced Persons stared at America. I am still staring at it, in my retinal memory. Neither the feeling nor the image can be described to one who hasn't gone through this. All the wartime, postwar D.P. miseries, desperations and hopelessness, and then suddenly you are faced with a dream. (...) Yes, this is America and this is the twentieth century.

And we both said it, at the same time, Adolfas [sein Bruder] and myself: ‘We are staying right here. This is it. This is New York. This is the center of the world!’»

Schnell weicht das unfassbare Staunen über New York allerdings der Ernüchterung:
Er schreibt an einen Freund, der noch in Europa auf die Auswanderung wartet:  

«(...) For us, new immigrants it's a misery. So forget America and go to some other land where the economy is not based on export. Go to Australia. 
That's what I'd say to a simple worker. 
But you are a poet So I say: 
Come to America! You'll experience the misery of one great dream: capitalism. It's worth it.»

Für Mekas ist die Kamera also erstmal genau das: New York anstarren! Zeuge des grossen Traums zu sein, des Traums vom Kapitalismus, den er ablehnt. Und wo er ganz schockiert darüber schreibt, dass in einem Restaurant in Amerika die Eigelbe weggeschmissen werden, weil man nur das Eiweiss benutzt.

«First Shock of America: While helping in the kitchen I discovered that I was helping to dump barrels of egg yolk into the ocean. When I expressed my shock, I was told by the kitchen workers that they use only the egg white; they don't serve the yolk on this ship.»

Mekas

Obwohl ich mit der Kamera aufgewachsen bin, habe ich immer noch etwas Angst vor Kameras. Haben Sie auch Angst vor Kameras? Manchmal macht einem das, was sehr nahe ist, mehr Angst als das, was weiter weg ist. Ich habe Angst vor dem technischen Blick. Ich habe Angst, dass man nur das sieht, was man sieht. Und nicht das, was eigentlich da ist. Die Realität der Bilder macht mir Angst. 

Mekas hat, glaube ich, ein wenig Angst vor Mädchen. In I had nowhere to go kommt das erste Mädchen auf Seite 194 vor. Am 25. Januar 1949, als er 27 Jahre alt ist. Die vier Jahre davor, die im Buch vorkommen, sind praktisch Frau-frei (ausser seiner Mutter und ein paar Frauen, zu denen die anderen Männer der Displaced Persons Camps gehen, weil sie sich prostituieren). Manchmal macht einem das, was einem sehr nahe ist, mehr Angst als das, was weiter weg ist.

Das Schöne an Mekas ist, dass er die Kamera benutzt, wie er vorher seine Schreibmaschine benutzt hat oder seinen Stift. Er schneidet genauso «zufällig» wie er vorher in seinem Tagebuch die absurdesten Dinge nebeneinander aufgereiht hat. Nietzsche neben einem Poulet. Kartoffeln neben Gedichten. Es zeigt sein Erstaunen wie nah beieinander diese Dinge sind, in dieser absurden Realität. 

Mekas spricht kaum über Film oder andere Filmemacher. Seine Kunst ist immer direkt mit dem Leben verbunden, deswegen erinnert er mich an die allererste Generation Filmemacher und Filmemacherinnen.

Inwiefern hat mein Handy-Fototagebuch, das sie hier gesehen haben – vom Moment, wo ich die Anfrage des Filmpodiums bekam, bis gestern – etwas mit Mekas’ Filmen zu tun? Er, der das «professionelle Filmschaffen» völlig in Frage stellte mit seinen verwackelten, privaten Bildern und seinen anscheinend zufälligen Schnitten. 

«Memories, Images, Sound, Memories. No judgement, good, bad, just images, sound memories and by themselves as they pass very very inncocent. 
People are bad. Cinema is inncocent. People are not inncocent. They are not.

I am in every image of the film.

I hope some day to become more real--- How could I avoid it, living in this age of reality... How am I to last long with my unreality? My hope is some day to walk, to make at last one step on this earth and say: Ah, now I really feel it, I am really walking the earth, and not dreaming...»

Ich sage: Ich hoffe, dass ich eines Tages Bilder machen kann, die realer sind, in dieser Zeit der Bilder.  Real wie die Bilder von Mekas. Die zeigen, was da ist. Und nicht, was man sieht.