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Seminar für Filmwissenschaft

Bilder einer besseren Welt. Die Utopie im nichtfiktionalen Film

Dr. Simon Spiegel

Die literarische Utopie ist eine altehrwürdige Gattung, die auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Seit Thomas Morus’ Utopia (1516), dem eigentlichen Urtext der Gattung, gibt es einen steten Strom von Entwürfen besserer Staatsgebilde. Im Medium Film konnte die Utopie dagegen gemäss allgemeinem Konsens nie richtig Fuss fassen. Denn ihr fehlen sowohl ein handlungstreibender Konflikt als auch individuelle Figuren, was sie für einen Spielfilm hollywoodscher Prägung denkbar ungeeignet macht. Untersuchungen zur filmischen Utopie beschränken sich deshalb in der Regel auf Dystopien, in denen als negativ empfundene Entwicklungen der Gegenwart ins Monströse gesteigert werden.

Das Habilitationsprojekt geht von der These aus, dass das filmische Äquivalent zur literarischen Utopie ohnehin nicht im Spielfilm, sondern vielmehr im Bereich des nichtfiktionalen Films zu finden ist. Die klassische Utopie weist eine hybride Struktur auf, sie ist eine Mischform aus Erzählung und philosophischer Diskussion. Der narrativ-fiktionale Rahmen ist meist bloss Vorwand für die Darstellung des Staatsentwurfs, der je nach Text als konkretes politisches Programm gedacht ist oder auch bloss als kritisches Gegenbild zum Status quo fungiert. In jedem Fall ist der Bezug auf eine konkrete historische und soziale Realität zentral. Folglich scheinen nichtfiktionale Formen, die sich durch eine assertorische Haltung auszeichnen, besser geeignet für filmische Utopien als der Spielfilm; dies gilt insbesondere fürr den politisch-aktivistische Dokumentar- resp. Propagandafilm.

Auf der Basis eines historisch und stilistisch möglichst breiten Korpus sollen verschiedene Ausprägungen der positiven Utopie im nichtfiktionalen Film untersucht werden. Im Zentrum stehen dabei die Transformationen der utopischen Topoi – sowohl inhaltlicher wie formaler Art – im Medium Film resp. die Frage, inwieweit sich bereits ein eigenständiger filmischer utopischer Diskurs herausgebildet hat. Aus filmtheoretischer Sicht ist vor allem von Interesse, wie die Filme mit der – scheinbar – paradoxen Situation umgehen, dass innerhalb eines dokumentarischen Films fiktive Szenarien entwickelt und visualisiert werden. Dem Prozess der Faktualisierung, des Quasi-real-Erscheinen-lassens fiktiver Inhalte, kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu, da dieser sowohl für die Dokumentarfilmtheorie wie auch für die Konzeption der literarischen Utopie von Bedeutung ist.